Thema
Russland, was willst du von mir?
Das russische Theater im Räderwerk der Macht – eine Reportage aus Moskau
von Maria Buzhor
Erschienen in: Theater der Zeit: Die rote Revolution – Russland zwischen 1917 und der Gegenwart (11/2017)
Meine Wohnung in Moskau ist eine sowjetische Zeitkapsel. Hier hängt noch ein Lenin-Abzeichen an der Wand, gleich neben dem Fernseher und einer dieser riesigen Hi-Fi-Anlagen, die wie ein Plastikberg aussehen: ein Altar der neunziger Jahre. Die Badewanne leckt, und die Heizung wird erst im Dezember vom zentralen Heizwerk in Betrieb genommen. Der Blick aus dem Fenster könnte zu dieser Welt von damals kaum ein größerer Kontrast sein: Ich lebe an den Patriarchenteichen, in einer der gentrifiziertesten Gegenden Moskaus. Hier begann Bulgakows Teufel aus „Meister und Margarita“ seinen melancholischen Besuch in der damals sozialistischen Stadt. „Aber haben sich die Menschen auch innerlich verändert?“, fragte er rhetorisch bei seiner Begegnung mit den Neuen Menschen des sowjetischen Regimes. Heute gehören die postsowjetischen Kontraste der neunziger Jahre der Vergangenheit an. Es gibt in diesem Viertel keine Pelzmäntel, keinen Wodka in der Metro, keine Obdachlosen, keine Streunerkatzen – alles glänzt wie die Straßen, die jede Nacht aufwendig von Zisternenautos mit weißrussischen Kennzeichen gespült werden. Startups, Givenchy und ein nuanciert deregulierter Taximarkt – alle sichtbaren Zeichen sowjetischer und früher postsowjetischer Ökonomie sind beseitigt.
Doch ausgerechnet die Theaterwelt erwies sich als eine für die neoliberale Politik und Vetternwirtschaft schwer zu knackende Nuss. Moskau hat heute an die...