Theater der Zeit

Look Out

Unter eiskaltem Strom

Großer Junge und diabolischer Verführer: Der Potsdamer Schauspieler Holger Bülow

von Lena Schneider

Erschienen in: Theater der Zeit: Alexander Kluge: Tschukowskis Telefon – Umwege zum Realismus (12/2015)

Assoziationen: Sprechtheater Akteure Hans Otto Theater

Anzeige

Holger Bülow sieht, wenn er sich verbeugt, immer ein bisschen überrascht aus. Als würde er sich wundern, dass die Leute klatschen. Neulich, es war nach einer Vorstellung von „Supergute Tage“ (Regie Stefan Otteni), da wollte das Potsdamer Publikum gar nicht mehr aufhören mit dem Klatschen. Und Holger Bülow freute sich, als erlebte er es zum ersten Mal.

Dabei war es die 14. Vorstellung. Seit seinem Engagement am Hans Otto Theater 2009, Holger Bülows zweite Station nach dem Auftakt in Hannover, spielt er große und ganz große Rollen. In „Der Turm“, der Inszenierung, mit der Intendant Tobias Wellemeyer sich nach einem zähen Beginn 2010 endlich das Potsdamer Publikum erwärmte, war Holger Bülow Christian. Zweifelnd, selbstzweifelnd, folgsam, ohne folgen zu wollen. Bürgersöhnchen, Soldat und Chronist. Er trägt den Abend, aus seiner Perspektive wird das epischdüstere Märchen, als das Uwe Tellkamp die DDR beschreibt, erzählt.

Holger Bülow blieb in Potsdam der gute Junge (den Christian spielt er immer noch) und wurde zugleich zu dessen Kehrseite, zum mal spitzbübischen, mal abgründigen Bösewicht. Er war Volpones gehässiger Widerpart Mosca (Regie Tobias Wellemeyer), war Dennis Kellys diabolisch-banaler Gorge Mastromas und 2014 dann, konsequent, Mephisto (Regie Alexander Nerlich). Geschmeidig, verführerisch, einer unter eiskaltem Strom. Einer, der Silben lasziv zerdehnt, operativ genau Nasen bricht, um dann das Blut aufzulecken. Nicht aus Geilheit, sondern aus kühler Neugier und weil sonst auf Erden nicht viel zu tun ist, was Sinn macht. Einer, der Faust küsst, als wollte er ihn verschlingen. Aus denselben Gründen.

Zwischendurch, da war Holger Bülow weg. Nach zwei Spielzeiten in Potsdam rief Karin Beier aus Köln an, und Holger Bülow ging. Potsdam verlor einen seiner stärksten Spieler, aber Köln war Köln. Dort hießen seine Regisseure neben Karin Beier Herbert Fritsch und Anna Viebrock. Und die Rollen? In Beiers „Der Idiot“ spielte er Ippolit. Es ist bezeichnend für die Kölner Zeit, dass man erklären muss, wer das ist. „Der, der immer davon redet, sich umzubringen, und es nicht schafft“, beschreibt ihn Holger Bülow. Natürlich: „eine wunderbare Rolle“. Aber trotzdem, die besseren bleiben die, deren Namen man kennt.

2013, Karin Beier zog weiter nach Hamburg, zog Holger Bülow zurück nach Potsdam. Ein Rückschritt? Ach, sagt er. Nicht die Größe des Hauses zählt, sondern was dort möglich ist. Potsdam hatte ihn umworben und „Futter“ versprochen: richtige Rollen. Jetzt spielt Holger Bülow wieder die diabolischen Verführer und die großen Jungs. Bald wird in letztere Reihe auch Ed aus der Bühnenadaption von Lutz Seilers „Kruso“ gehören (Premiere ist am 15. Januar 2016).

Holger Bülow ist kein Schauspieler, der sich seine Rollen überstülpt wie ein Kostüm oder sie sich durch Ironie vom Leib hält. Sie nehmen seinen ganzen Körper in Beschlag, auf fast unheimliche, implodierende Weise. Seine Figuren scheinen von einer Kraft tief drinnen zersetzt zu werden. Aber vor dem Ende, da holen sie noch einmal aus und greifen sich das bisschen Welt, das man mit den Händen erreichen kann. Gegen alle Widerstände, vor allem die von innen.

Wie in „Supergute Tage“. Da geht seinem Christoper, dem 15-Jährigen mit Asperger-Syndrom, der Astronaut werden will, weil man da oben so herrlich alleine ist, am Ende ein Traum in Erfüllung. Oder fast. Hoch oben im schwarzen Bühnenhimmel sieht er eine Rakete. Staunt, kippt den Kopf in den Nacken, alles ist möglich, oder? Dann ein gepresster Schrei, ein erneuter Anfall. Ein Rückfall, wäre da nicht dieses „Oder?“ gewesen. Das ist Holger Bülows Moment. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"

Anzeige