Protagonisten
Das Werk als Passage
Über die Pariser Weltpremiere des Projekts DAU von Ilya Khrzhanovsky
von Thomas Oberender
Erschienen in: Theater der Zeit: Work, Bitch – Die Regisseurin Pınar Karabulut (03/2019)
Assoziationen: Akteure
Wie bringt man ein Werk heraus, das im Moment seiner Veröffentlichung aus 13 Kinofilmen besteht, die zugleich aber nur eine Facette eines Gesamtwerks darstellen, das mit der dreijährigen Installation einer künstlerischen Gated Community am Stadtrand von Charkiw verbunden war, mit der Entwicklung eines Internetportals und einer eigenen Publikations- und Merchandisingreihe? Das DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky war zunächst ein Sozialexperiment ganz eigener Art, dessen „Abfallprodukt“ an die siebenhundert Stunden Film sind. Im Kern ging es in Charkiw um eine Experimentalgesellschaft, deren Mitglieder ihr Leben unter den Bedingungen in der Sowjetunion zwischen 1938 und 1968 führten – sie waren und sind tatsächlich berühmte Mathematiker, Theologen oder Künstler, die genauso wie Arbeiter, Wachleute oder Straßenfeger gemeinsam an diesem Ort lebten, forschten und ihre Berufe praktizierten. Sie taten dies in einer kollektiven Zeitreise, die durch drei Jahrzehnte akribisch nachgebildeter Sowjetgeschichte führte – vom großen Terror in den Weltkrieg und das Tauwetter.
*
Ursprünglich wollte der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky das Leben des russischen Physikers Lew Landau (auch Dau genannt), des einzigen sowjetischen Nobelpreisträgers, nach einem Drehbuch von Vladimir Sorokin verfilmen. Dafür ließ er in Charkiw ein wissenschaftliches „Institut“ bauen, das jenem entsprach, an dem Landau einst gewirkt hatte. Dieses Set wurde für die bis...