Theater der Zeit

Auftritt

Saarbrücken: In der Menschenfabrik

Saarländisches Staatstheater: „Wunsch und Wunder“ (UA) von Felicia Zeller. Regie Marcus Lobbes, Ausstattung Wolf Gutjahr

von Björn Hayer

Erschienen in: Theater der Zeit: Die Bibliothek des Körpers – Der Tänzer-Choreograf Ismael Ivo (03/2015)

Assoziationen: Sprechtheater Saarland Theaterkritiken Saarländisches Staatstheater

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In der „Kinderwunschpraxis Wunschkinder“ ist alles möglich: Nicht nur verzweifelten Eltern soll mittels künstlicher Befruchtung irgendwann das Glück eines gemeinsamen Kindes zuteil werden, das sich zu einem gut gebildeten, hübschen Darling, everybody’s, entwickelt. Auch die Ärzte und Inhaber nutzen den Raum für ihre Zwecke: Der eitle Leiter und Sonnengott in Weiß Dr. med. Bernd Flause hat zum Unwissen der behandelten Frauen schon mehr als 300 Kinder „mit- gezeugt“. Um den Enkelwunsch der eigenen Mutter zu befriedigen, kommt auch dem alleinstehenden Diplombiologen Dr. Stefan Schimmerle seine Stellung als Laborant gerade recht. Wen stört es schon, wenn der Frau die eigene Spermaprobe statt der des Wunschvaters eingesetzt wird?

In Felicia Zellers neuem Stück „Wunsch und Wunder“ geht es drunter und drüber. Man wird einer grotesken Menschenfabrik gewahr, errichtet auf Schöpfungsfantasien und der Schimäre harmonischer Elternschaft. In der Uraufführung der Komödie am Saarländischen Staatstheater stützt sich Regisseur Marcus Lobbes vor allem auf Motive des Märchenwaldes: In einem Rondell (Bühne Wolf Gutjahr) fächern sich mehrere symmetrisch aufgebaute und durch Türen verbundene Zimmer auf. Während Dr. Flause (Andreas Anke) im inneren Raum mit verschiedenen Materialien hin und wieder an einer monströsen Menschenpuppe herumbastelt, zeichnen die mit uniformen Waldpostern beklebten Wände zum Zuschauerraum das Bild einer wohligen Yoga-Atmosphäre.

Doch die Natur ist nur Fassade, eine mythische Übermalung einer fragwürdigen Ideologie zur Optimierung des Menschen. Weder die Kulisse noch die karikaturartigen Figuren sind in jener Welt, in der Kinder nach Maßgabe gefertigt werden, wirklich echt. Mal huscht das Personal mit einer Froschkönigmaske über die Bühne, ein andermal rupft Dr. Schimmerle (Roman Konieczny) Schminktücher aus einer Wand, die als symbolisches Sperma den Praxisboden eindecken und später von der sich verzweifelt nach eigenem Nachwuchs sehnenden Medizinerin Dr. med. Betty Bauer (Gertrud Kohl) hoffnungsvoll aufgesammelt werden. Derweil erklingt noch munter das Eiermann-Lied, zu dem es insbesondere Dr. Flause beliebt, seine göttlichen Eingriffe vorzunehmen.

Dass der Abend gelingt, verdankt sich allen voran den mit aller Scharfzüngigkeit aufgeladenen Slapsticks. Auf diese Weise entschlackt der Regisseur den leider zu wenig akzentuierten Text. Hinzu kommt: Obgleich Zellers satirische Partitur, die ihre Figuren von Einsamkeit, gescheiterten Lebensentwürfen sowie von Hybris und übersteigertem Fortschrittsglauben gleichermaßen erzählen lässt, erwartungsgemäß von eloquenter Radikalität durchdrungen ist, mag sie nicht die beste aus ihrer Feder sein. Was die Sprachkritik und die Ausstellung entleerter Politik- und Moralphrasen betrifft, fällt der Text qualitativ hinter „X- Freunde“ (2012) oder die gefeierte Persiflage auf Werbewirtschaft und New Economy „Die Welt von hinten wie von vorne“ (2013) zurück.

Trotzdem zieht der durch seine Hörspielinterpretation von „Kaspar Häuser Meer“ (2009) bestens mit Zellers Ästhetik vertraute Lobbes alle Register und präsentiert die holzschnittartigen Figuren mit all ihren Abstrusitäten und Sehnsüchten als Gefangene ihrer Projektionen. Es gibt keinen Raum außerhalb des sich um sich selbst drehenden Rondells. Auch die stets auf sie gerichtete Kamera, welche die Aufnahmen auf einem oberhalb der Bühne schwebenden Fadenschleier bannt, lässt keinen Freiraum. Es gibt ausschließlich die Verdopplung, die Reproduktion in Zeichen und Bildern, die stets von der menschlichen Allmachtsfantasie erzählen, Herr seiner eigenen Schöpfung zu werden. Daher bestimmt nur ein Triumph das Werk von Flause und Partner: die Verblendung. Nachdem zuletzt ein nacktes Adam-und-Eva-Pärchen das Parkett betreten hat, klingt die Aufführung mit Ozzy Osbournes „Dreamer“ aus. Zum Träumen ist dieses großartig gallige Theater, das sehr wohl um die Tragweite einer noch nicht ausgestandenen gesellschaftlichen Debatte weiß, wirklich nicht, dafür aber zum amüsierten Schmunzeln. //

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