Theater der Zeit

Auftritt

St. Gallen: Der große Durst

Theater St. Gallen: „Die nicht geregnet werden“ von Maria Ursprung (UA). Regie Jonas Knecht und Marie Bues, Ausstattung Indra Nauck

von Bettina Kugler

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Schweiz Theater St. Gallen

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Ist das Glas halb voll oder halb leer – oder womöglich viel schlimmer: Wird der allerletzte Tropfen bereits in naher Zukunft versiegt sein? Mit der Erzählung einer Kindheitserinnerung, einer scheinbar banalen Begebenheit bei einem Familienbesuch, setzt Maria Ursprungs Stück „Die nicht geregnet werden“ ein. Es nutzt sie als Sprungbrett in ein Katastrophenszenario, das keineswegs aus der Luft gegriffen ist, sondern in vielen Weltgegenden längst Realität, und auch hierzulande immer deutlicher spürbar: die drohende Wasserknappheit. Die 1985 in Solothurn geborene Dramatikerin hat das Stück in der Spielzeit 2020/21 als Hausautorin am Theater St. Gallen geschrieben (Abdruck in TdZ 2/22); Ende Mai 2022 wurde es unter der Regie von Schauspieldirektor Jonas Knecht und Marie Bues, ab 2023 Co-Leiterin des Schauspielhauses Wien, in der St. Galler Lokremise uraufgeführt. Sieben Personen in wechselnden Rollen von der Wissenschaftlerin (Birgit Bücker) über ein Radiomoderatoren-Duo (Grazia Pergoletti, Julius Schröder) bis hin zum herumlavierenden Lokalpolitiker (Tobias Graupner) führen darin vor Augen, was passiert, wenn das heute noch Selbstverständliche nicht mehr verfügbar ist.

In der eingangs erwähnten kleinen Anekdote des Epilogs gibt es vom Vater eine Ohrfeige, weil die Tochter gedankenlos das Glas wegzieht, als er ihr zu trinken einschenkt. Nicht so schlimm, denkt man, ist doch nur Wasser. Doch Wasser könnte in den kommenden Jahren ein so kostbares Gut werden, dass darum Kriege geführt werden oder rücksichtslose Verteilkämpfe in der unmittelbaren Nachbarschaft einsetzen. Dieses Drama deutet sich in „Die nicht geregnet werden“ unüberhörbar an und eskaliert schon bald, selbst wenn die St. Galler Uraufführung zunächst einen harmlos heiteren Tonfall anschlägt. Schließlich rückt Maria Ursprung ein Schwimmbad und dessen Betreiberin Berit (Anna Blumer) in den Mittelpunkt.

Zwar sitzt Berit auf dem Trockenen. Ihr Pool ist leer und nur ein Versprechen auf Erfrischung in der sommerlichen Hitze. Dennoch verbreitet Radio Regenbogen mit Feelgoodsongs wie „Somewhere over the rainbow“ und „It’s raining again“ (Musik und Sounddesign: Albrecht Ziepert) bei über 40 Grad unverdrossen gute Laune. Die Fototapete im Hintergrund, mit Badesee, Steg und Sprungturm (Ausstattung: Indra Nauck), wirkt da wie eine Fata Morgana: gespenstisch irreal. Berit kauft einen neuen Badeanzug, sie versucht, bei steigendem Preis frisches Wasser zu bestellen und bietet der undurchschaubaren Era (Anja Tobler) Schwimmunterricht an. Was angesichts der sich zuspitzenden Lage als ein geradezu frivoler Akt erscheint: in Trinkwasser zu schwimmen, nur zum Vergnügen.

Der Text, ein Kaleidoskop an Szenen und kurzen Dialogen oder chorischen Passagen, springt zwischen angedeuteten privaten Beziehungs- und Familiengeschichten und dem eher hilflosen allgemeinen Krisenmanagement in der zunehmend brenzligen Situation. Er packt, wenn auch auf sehr verspielte und poetische Weise, nicht gerade wenig an brisanten, diskussionsbedürftigen Themen an. Marie Bues und Jonas Knecht inszenieren den knapp zweistündigen Theaterabend spritzig, mit verträumter Leichtigkeit, die freilich den Albtraum ahnen lässt. Vieles bleibt in der Schwebe, anderes wird exemplarisch herausgestellt: etwa das Faktum, dass in Peru die Vögel angesichts des Klimawandels in immer höhere Regionen abwandern. Oder das Bild des verschütteten Wassers. Der Durst. Eine Verfolgungsjagd um letzte Reserven an Eiswürfeln.

Am Ende steht die beklemmende Zukunftsvision einer ausgedorrten Stadt und eine vieldeutig schillernde Parabel. Hier kippt das Stück in Resignation, die Unumkehrbarkeit der sich abzeichnenden Menschheitskatastrophe. „Wir hätten hören können, hinsehen, handeln – die Zeichen waren da“, heißt es im chorisch angelegten Epilog. Von der Autorin oder der Regie konstruktive Lösungsansätze oder Handlungsimpulse zu erwarten, wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Immerhin sensibilisiert der Abend für ein brandaktuelles Thema, das schon vor Jahrzehnten hätte auf der Agenda stehen müssen. Im Hitzesommer 2022, erfährt man derweil aus den Medien, investieren zahlreiche Haushalte in der Schweiz lieber erst einmal in eine Klimaanlage. //

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