Gespräch
Was macht das Theater, Julie Paucker?
von Thomas Irmer und Julie Paucker
Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)
Assoziationen: Schweiz Akteure Dossier: Was macht das Theater...?

Sie sind erstmalig allein programmverantwortlich für die Einladungen zum Schweizer Theatertreffen, das im Mai zum neunten Mal in Graubünden und Liechtenstein stattfindet. War das tatsächlich allein zu bewältigen?
Das Auswahlverfahren des Schweizer Theatertreffens, das als Veranstalter ein mehrsprachiger Verein ist, erfindet sich gerade neu. Bei früheren Ausgaben gab es ein Kuratorium von Journalistist:innen, die im Abstimmungsverfahren die Auswahl bestimmten. Dann gab es bei der letzten, durch die Corona-Krise eingeschränkten Ausgabe ein künstlerisches Leitungsduo mit dem Theaterdirektor von Fribourg Thierry Loup und mir. Ab jetzt und für die kommenden Ausgaben bin ich die alleinige künstlerische Leiterin. In der Romandie und im Tessin bekomme ich Unterstützung von Scouts, die mich beraten, denn ich kann mir viel, aber natürlich nicht alles anschauen. Die Besonderheit des Schweizer Theatertreffens ist ja, dass es wandert. Ab jetzt soll es aber regelmäßig in die drei Sprachregionen mit festen Partnern wiederkehren, wenn man so will als Triennale. Der Kern des Festivals ist das Anliegen, die verschiedenen Schweizer Szenen in einem jährlichen Treffen zusammenzubringen.
Die Schweizer Theaterlandschaft zeichnet sich durch eine besondere Diversität aus, sprachlich, regional, mit vielen freien Gruppen neben den großen Städten mit ihren historisch etablierten Theatern – und eben darin auch verschiedenen Traditionen.
Gerade diese Diversität trifft sich sehr mit meinen Interessen. Und ich denke, das bildet sich in der Auswahl ab. Es sind offene Formen aus allen Landesteilen vertreten, vom Schauspiel hin zu Performance und einem eher choreografischen Theater. Eröffnungsproduktion ist Martin Zimmermanns „Danse macabre“, eine tänzerisch clowneske Performance, poetisch und politisch zugleich – ein Totentanz auf einer Müllhalde. Mein Eindruck ist, dass Künstler:innen im Moment das Bedürfnis haben, direkt am Alltag anzudocken. Das Gefühl, in einer sehr aufgebrochenen, politischen Zeit zu leben, zu der man sich verhalten muss, drückt sich in Formen und Inhalten aus. Das war meine Erfahrung beim Sichten. Eine andere eingeladene Produktion beschäftigt sich mit dem Schweizer Sport des Schwingens. Da wird ein Schweizer Kult verhandelt, mitsamt der darin enthaltenen Rollenbilder – hauptsächlich über Bewegung. Oder – auch ein Highlight: „Giselle“ von François Gremaud, der inzwischen auch in Frankreich sehr bekannt ist. Eine Performerin tanzt ein ganzes Ballett, wirklich ein Ereignis, wie da mit Humor kritisch und gleichzeitig liebevoll auf das romantische Original geguckt wird.
Von den großen Theatern der Deutschschweiz gibt es auch etwas?
Die „Metamorphosen“ vom Theater Basel, die Eröffnungsproduktion der neuen Intendanz, in der Regie von Antú Romero Nunes. Ein Abend, der ganz auf die Kraft des Spielens setzt. An dem klassischen Stoff werden alle möglichen Formen durchgespielt, vom Hau-drauf-Slapstick bis zum raffinierten Kammerspiel – eine Liebeserklärung ans Theater.
Sie sind somit eine Art Sonde in diese Landschaft.
Das ist persönlich extrem spannend. Man fragt mich natürlich auch, warum wir wie das Berliner Theatertreffen nicht auch Deutschland und Österreich einbeziehen. Da wir ja aber kein deutschsprachiges Festival sind, müssten dann mindestens noch Italien und Frankreich dabei sein. Das könnte man hier nicht veranstalten, und auch als Sonde nicht leisten. Der Witz ist ja zu zeigen, wie vielfältig und übrigens auch durchaus international das Theaterschaffen in einem so kleinen Land wie der Schweiz ist.
Wahrscheinlich schon deshalb, weil die Theaterkulturen innerhalb der Schweiz so verschieden sind?
So ist es. Das Theater der französischsprachigen Schweiz unterscheidet sich auch in den Strukturen von dem in der deutschsprachigen Schweiz – Theater wird anders gedacht und daraus folgend entstehen andere Produktionsabläufe. Das sind eigentlich zwei Welten, und die zu verbinden, ist eine Mission, die noch nicht erfüllt ist. In der Romandie herrscht das Prinzip der Compagnien und der einladenden, mitproduzierenden Theater vor, alles basiert auf Tour, während in der Deutschschweiz die großen Stadttheater mit Repertoire und festen Ensembles die Szene mitbestimmen. Das, was ich jetzt mache, das Programmieren, ist in der Romandie etwas ganz Selbstverständliches, die meisten Häuser basieren auf diesem Prinzip. Das führt tatsächlich auch zu anderen künstlerischen Ergebnissen. Dies sichtbar zu machen, und die Theaterschaffenden der ganzen Schweiz auch in Workshops darüber in einen Austausch zu bringen, ist das Ziel des Treffens. //