Die Rücknahme der Maßgabe
Schuld, Maß und Überschreitung bei Bertolt Brech
Erschienen in: Recherchen 12: Das Politische Schreiben – Essays zu Theatertexten (10/2012)
Schuld, Maß und Überschreitung bei Bertolt Brecht
... Sinn für eine grenzenlose und folglich notwendig übermäßige,
unberechenbare Verantwortung ...
... Gerechtigkeit beruht ... nicht auf Gleichheit, auf einem berechneten
Gleichmaß, auf einer angemessenen
Verteilung, ... sondern auf einer absoluten Asymmetrie...
... »Idee der Gerechtigkeit«: ... Forderung nach einer Gabe ohne
Austausch, ... ohne Kalkül und ohne Regel, ohne
Vernunft oder ohne Rationalität im Sinne des ordnenden, regelnden,
regulierenden Beherrschens. Man kann
darin also einen Wahn erkennen ... 1
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Die folgende Skizze nähert sich Brecht von einer ungewohnten Seite. Das Maß, die Schuld, die Überschreitung – diese Begriffe, so will mir scheinen, lenken den Diskurs Brechts, nicht nur sein Theater, in entscheidender, aber zugleich verborgener Weise. Dass bei ihm das Individuum abdankt, seine »Absetzung« (wie bei einem Herrscher) betreibt, hinterlässt in Brechts Schreiben eine Spur, denn in der Auslöschung des Gesichts ist doch dessen bindende Anwesenheit – sozusagen mit negativem Vorzeichen – gesetzt; am ausgestoßenen und gestürzten Moment der Unvernunft macht er die Kraftquelle der Vernunft, im Asozialen die conditio sine qua non der Veränderung des Sozialen sichtbar. Mehr als ein Vorschlag, Brechts Texte einmal systematisch nach dem Maß, der Schuld, der Überschreitung zu befragen, sollen freilich die hier vorgetragenen...