Theater der Zeit

Thema: Bundestagswahlen

Lasst uns streiten!

Der Soziologe und Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani über Irrungen und Wirrungen der Symbolpolitik, fatale Romantisierungen und die Produktivität des Streits

von Dorte Lena Eilers und Aladin El-Mafaalani

Erschienen in: Theater der Zeit: Es ist ein Kreuz – Ein Schwerpunkt zur Bundestagswahl mit Luna Ali, Annekatrin Klepsch und Aladin El-Mafaalani (09/2021)

Assoziationen: Debatte

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Aladin El-Mafaalani, sprechen wir über die Wahlen, eine Zeit der Richtungsentscheidungen, aber auch der Symbolpolitik. Besonders Kultur und Bildung werden gerne herangezogen, wenn es um die „Reparatur“ unserer Gesellschaft geht. Kultur und Bildung sollen bilden, integrieren, inkludieren, soziale Ungleichheiten bekämpfen, den Klimawandel aufhalten und Nazis verjagen. Was mich beeindruckt hat: In Ihrem Buch „Mythos Bildung“ weisen Sie diesen Auftrag, bezogen auf die Bildung, mit ziemlich viel Verve zurück. Bildung als Allheilmittel anzusehen, schreiben Sie, sei völlig absurd. Würden Sie einen solchen „politischen Ungehorsam“ auch Kulturschaffenden empfehlen?

Ich würde zunächst bezweifeln, dass sich Bildung und Kultur in diesem Sinne so vergleichen lassen. Im Bereich der Kultur, so mein Eindruck, werden tatsächlich krasse Sonntagsreden gehalten. Bezogen auf die Bildung, meinen es Politikerinnen und Politiker, fürchte ich, ernst. Sie erwarten tatsächlich, dass man durch das, was in der Schule passiert, präventiv gegen Armut wirken, die Situation in den Stadtteilen verbessern und Rechtsextremismus bekämpfen kann. Das kann Kultur ja nicht ernsthaft leisten. Man kann es behaupten, aber glauben tut es doch keiner.

Im Wahlprogramm der Linken heißt es zumindest, es sei Aufgabe einer fortschrittlichen, aufklärerischen Kultur, an der Überwindung der sozialen Ungleichheit und aller kulturellen Unterdrückung mitzuwirken.

Ja, aber stellen Sie sich mal vor, die Erwartung, die Sie gerade formuliert haben, hätte die Politik wirklich und würde die Kultur daran messen. An den Bestrebungen der Politik, messbare Ergebnisse zu erhalten, erkennt man in der Regel, ob sie es ernst meint oder nicht. Immerhin sind Kulturschaffende damit in der glücklichen Situation, mit ihrem Auftrag zu spielen – etwas Aufklärung, hier und da auch etwas Pädagogik, gerne viel Kunst, manchmal elitär, manchmal niedrigschwelliger. Die Bildung kann das nicht, hier ist fast alles rechtlich und politisch vorgegeben. Darum waren viele Leute auch so entsetzt über mein Buch.

Das klingt ja ernüchternd. Denn trotz des Widerwillens, sich von der Politik Aufträge erteilen zu lassen, würden viele Kulturschaffende ihre Arbeit natürlich als gesellschaftlich extrem wirksam definieren.

Aber im Kulturbereich ist man doch schon froh, wenn die Zusammensetzung des Publikums auch nur halbwegs repräsentativ für die Gesellschaft ist. Wie viele Menschen gehen regelmäßig ins Theater? Fünf Prozent?

Wahrscheinlich eher weniger.

Im Gegensatz zur Schule. Es herrscht Schulpflicht. Da sitzen alle.

Also ein Plädoyer für eine allgemeine Theaterpflicht!

(lacht) Hätte zumindest einen gewissen Charme. Ich plädiere ja dafür, dass Theater in der Schule stattfindet.

Nur zu! Und Musikunterricht. Und Kunstunterricht. Denn auch das ist ein Vorwurf von Kulturschaffenden: dass sie all das, was in Schulen gestrichen wird, um Platz für die MINT-Fächer zu schaffen, also für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, auffangen sollen. Kulturelle Bildung wandert immer mehr aus der Schule heraus in den Freizeitbereich, der aber eben auf Freiwilligkeit basiert.

Zunächst sind MINT-Fächer natürlich extrem wichtig. Siehe Corona-Pandemie: Wären MINT-Kompetenzen in der Gesellschaft weiter verbreitet, hätten Christian Drosten und Karl Lauterbach nur eine Woche reden müssen, damit es alle kapieren, und nicht anderthalb Jahre. Aber natürlich ist die Balance wichtig. All das, was man unter kultureller Bildung versteht, muss in der Schule ­extrem ausgeweitet werden. Ich würde nur infrage stellen, ob das im ­Unterricht stattfinden soll oder außerhalb des Regelunterrichts.

Sie meinen nachmittags in AGs in der Ganztagsbetreuung, für deren Ausweitung Sie eintreten.

Ja, weil das Lernen dort individueller erfolgen kann. Kinder lernen gezielt ein Instrument oder eine Sportart und erfahren so, was es heißt, permanent am Ball bleiben zu müssen, um sich zu verbessern. Das schafft man mit dreißig Kindern in einem an einen Lehrplan gebundenen Unterricht eher nicht. Auch Theater selbst zu machen halte ich für sinnvoller, als sich im Theater eine Inszenierung anzuschauen. Sowieso sollten auch die MINT-Fächer anwendungsbezogener werden. Hand­werken nach mathematischen Formeln zum Beispiel.

Oder Geschichtsunterricht mit Guillotine. Was spricht dagegen, all dies umzusetzen?

Der Mangel an Personal, Räumen, letztlich Geld.

Wie im Theater. Alle sprechen für die Zeit nach Corona von der großen Transformation der Stadttheater – gleichzeitig drohen den kommunalen Haushalten drastische Sparrunden. Transformation aber kostet Geld. Wer einen Auftrag erteilt, muss ihn bezahlen. Wie weit da die Realitäten auseinanderliegen, zeigt ein Blick in die Wahlprogramme. Um das Bildungssystem zu modernisieren, veranschlagt die FDP 2,5 Milliarden Euro. Die Linke nennt 50 Milliarden Euro, um allein Schulgebäude zu sanieren. Im Kulturbereich werden, außer bei den Corona-Hilfen für Soloselbständige, die Grüne und Linke fordern, kaum Zahlen genannt. Kultur sei nicht nur zu schützen, sondern auch zu fördern, heißt es allgemein. Die Linke nennt immerhin Finanzierungsmodelle: eine Vermögenssteuer sowie -abgabe.

Mit 2,5 Milliarden Euro im Bildungssektor könnte man wahrscheinlich die tropfenden Decken in Schuss bringen und dafür sorgen, dass die Sanitäranlagen einer Prüfung vom Ordnungs- und Gesundheitsamt standhalten. Mit 50 Milliarden Euro ließe sich da schon wesentlich mehr anstellen. Der Schulbau ist tatsächlich die größte Herausforderung. Seit 150 Jahren werden Schulen so gebaut, dass vorne jemand steht und dreißig Kinder in Reih und Glied in eine Richtung schauen …

… ich sage nur: Guckkastenbühne.

Wenn jetzt aber auch noch Musik stattfinden soll, Theater, Sport, wenn es mehr Schulpsychologinnen und -sozialarbeiter, mehr ­Gesundheitspersonal geben und irgendwo mittaggegessen werden soll, sprich für eintausend Kinder gekocht werden muss, braucht man neue Gebäude. Die Frage ist: Will man das, was vorhanden ist, wieder auf Vordermann bringen? Oder alles neu denken, transformieren, damit es den heutigen Herausforderungen standhält? Ich plädiere für Letzteres, denn die Herausforderungen sind riesig.

Und die Institutionen träge.

Immerhin hat Corona einen gewissen Handlungsdruck erzeugt. Aber Sie haben recht: Die Gesellschaft hat sich schneller verändert als die Institutionen. Kindheiten haben sich verändert, Familien haben sich verändert, und auch das, was wir Klassengesellschaft nennen, hat sich verändert. Wir haben ein Unterklassemilieu, in dem die Erwachsenen aufgegeben haben. Und Erwachsene, die resigniert haben, lassen auch alle Tugenden fallen. Auf genau diese Tugenden der Arbeiterklasse aber hat sich die Schule immer verlassen, Pünktlichkeit etwa. Der Abstand zu Kindern, die in diesen Schichten aufwachsen, wird daher immer größer. Darauf ­haben die Institutionen keine Antwort – auch die Theater nicht.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Weil viele einen undifferenzierten Blick darauf haben, was wir nach langer Zeit endlich erreicht haben: die offene Gesellschaft.

Aber die ist doch durchaus zu begrüßen. Nach Karl Popper ist eine offene Gesellschaft im Gegensatz zur geschlossenen in der Lage, sich ohne Dogmen und Verbote im offenen Meinungsaustausch ständig selbst zu hinterfragen und damit weiterzuentwickeln.

Genau. Es gibt nur zwei Haken: Der Planet wird ruiniert, und der immer kleiner werdenden Unterklasse geht es immer schlechter. Ich beschreibe diesen Prozess in meinem Buch „Das Integrationsparadox“ mit dem Bild des Tisches. Über die Jahre haben immer mehr Menschen am Tisch Platz genommen. Auf dem Boden sitzen nicht mehr viele. Im Grunde eine richtig gute Entwicklung. Wer aber jetzt noch auf dem Boden sitzt, ist, um es im Ruhrpott-Deutsch zu sagen, am Arsch. Früher, als die Gesellschaft noch wie eine Pyramide strukturiert war, war es nicht unbedingt schlimm, unten zu sein, weil man sein Schicksal mit vielen teilte. Nun hat sich die Pyramide auf den Kopf gestellt. Das sehen wir auch im Bildungsbereich: Das Gymnasium ist die größte Schulform. Eine super Sache. Bei Menschen aber, die von dieser Entwicklung nicht profitieren, führt dies zu Resignation. Sie haben endgültig keine Hoffnung mehr in eine bessere Zukunft. Zygmunt Bauman hat diese Entwicklung in seinem Buch „Retrotopia“ rekonstruiert.

Das Bild vom Tisch suggeriert aber auch, dass zumindest dort eine gewisse Egalität herrscht. Was aber de facto nicht der Fall ist. Die happy few sitzen dort ja schon lang nicht mehr, sondern in ­ihrem Penthouse im 111. Stock. Auch am Tisch droht sich somit Resignation breitzumachen.

Ja, der Tisch ist eine Arena. Spielen muss man selbst. Wer am Tisch sitzt und nichts tut, erreicht auch nichts. Am Tisch läuft es total ungerecht ab. Auch ein Grund, warum sich die Menschen am Tisch viel schneller diskriminiert fühlen. Das weiß jeder Fußballschiedsrichter: Wenn zwei Mannschaften auf Augenhöhe gegen­einander spielen, werden die Ellenbogen ausgefahren, es wird strategisch gefoult und nicht nur aus Versehen. Die offene Gesellschaft ist keine gerechte Gesellschaft. Das muss man sich klarmachen. Sie ist nur die einzige, in der man für Gerechtigkeit kämpfen kann, ohne in den Knast zu kommen.

Als Bildungsforscher werden Sie oft mit dem Begriff der Chancengleichheit konfrontiert. Auch Kultureinrichtungen sprechen davon, dass möglichst vielen Menschen die gleichen Chancen auf Teilhabe am Kulturleben ermöglicht werden sollen.

Chancengleichheit ist eine komplizierte Sache. Sie ist ein total wichtiges Ziel. Aber sie bedeutet nicht, dass es keine Armut gibt. Sie bedeutet, um es mal hart zu formulieren, dass es gleich wahrscheinlich ist, wer obdachlos wird. In Sachen Chancengleichheit, würde ich sagen, stehen wir gar nicht so schlecht da. Wir haben immerhin die Situation, dass mehr Menschen an der Uni sind als eine Ausbildung machen. Es gibt fast niemanden mehr, der gar keine Ausbildung macht. Schlecht läuft es wie gesagt da, wo Menschen immer noch auf dem Boden sitzen. Stichwort Solidarität! Während man sich um Chancengleichheit recht viel gekümmert hat, wurde Solidarität abgebaut. Das ist ein Hauptgrund, warum die Resignation auf dem Boden so groß ist: Vor der Jahrtausendwende lautete das Sozialstaatsversprechen: „Wenn du hinfällst, helfen wir dir.“ Seit 2000 heißt es: „Sorge dafür, dass du nicht hinfällst, damit wir dir nicht helfen müssen.“ Das nennen wir dann präventive Sozialpolitik. Zynisch!

Interessanterweise sehen Sie auch in unserem von Humboldt stammenden humanistischen Bildungsideal im Sinne einer ganzheitlichen Menschenbildung – sprich nicht nur MINT-Fächer, sondern auch musisch-künstlerische – eine sträfliche Missachtung der sozialen Frage. Inwiefern?

Weil es ein sehr am Individuum ansetzender Bildungsbegriff ist. Er will die Einzigartigkeit und Individualität des Menschen in der Aneignung der Welt entwickeln. Schön und gut. Aber er unterstellt dabei, dass jeder Mensch dazu die gleichen Rahmenbedingungen hat. Wenn Menschen in Armut leben beziehungsweise aufwachsen, können sie es sich gar nicht leisten, irgendetwas zu tun, was nicht existenziell notwendig ist. Ein Theaterbesuch aber ist nie existenziell notwendig. Ein Musikinstrument zu lernen ist nicht notwendig. In der Sprache von Grundschulkindern heißt es dann: Warum soll ich Geige spielen lernen? Ich will kein Musiker werden. Die Idee, einfach nur Geige zu spielen, aus ästhetischen Gründen, ist einem Kind, das von klein auf lernt, mit knappen ­Ressourcen zu haushalten, nicht zugänglich. Den persönlichen, ­unmittelbaren, existenziellen Nutzen können viele Angebote der ­bildungsbürgerlichen, humanistischen Bildung nicht bieten. Sie verfolgen eher eine Art Selbstzweck, eine Veredelung des Menschen. Aber eine Veredelung braucht man natürlich erst, wenn alles andere einigermaßen geklärt ist. Kinder, die nach Nutzen selektieren, verhalten sich ihrem Lebenskontext entsprechend im Grunde also erst einmal total vernünftig und schlau. Das Problem ist unser humanistischer Bildungsbegriff, der regelrecht blind ist für soziale Ungleichheit. Diese Vorstellung von Bildung ist romantisch.

Schulen wie auch Kultureinrichtungen indes teilen natürlich die Hoffnung, dieses auf Nutzen basierte Denken zu durchbrechen.

Richtig. Und das ist auch wichtig. Daher plädiere ich so stark für Ganztagsschulen, in denen derartige Angebote gemacht werden können. Denn wenn dieses Denken nicht durchbrochen wird, ­verfestigt es sich. Das betrifft nicht nur Bildung und Kultur. Die Menschen fragen sich dann auch: Was bringt es mir zu wählen? Verständlich. Da hilft es auch nicht, wenn Politiker in benach­teiligte Stadtteile gehen und Plakate aufhängen mit der Frage „Wie wollen wir in unserer Stadt 2040 leben?“ Für Menschen, die nicht mal wissen, wie sie morgen leben sollen, eine zynische Frage. Wir müssen uns einfach gewahr werden, dass wir in einem Land ­leben, in dem die sozialen Unterschiede extrem sind.

Um diese Unterschiede aufzulösen, ist zuallererst eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik vonnöten.

Ja. Aber Armut bedeutet nicht nur knappe ökonomische Mittel, auch Denk- und Handlungsmuster führen dazu, von sich aus nicht zu partizipieren. Pierre Bourdieu sagt: Die effektivste Dis­kriminierung ist die, die dazu führt, dass Menschen sich selbst diskriminieren.

Hieße aber, da könnten Bildungs- und Kulturinstitutionen an­setzen? Um zu vermitteln, sich nicht selbst zu diskriminieren, Selbst­ermächtigung zu erlangen?

Ja, aber sie müssten sich dafür eben grundlegend verändern. Das Problem ist, dass oftmals die Prämissen nicht stimmen. Schauen wir auf die Theater: Das Angebot an Kinder- und Jugendclubs scheint mir so groß wie noch nie. Trotzdem erreichen sie bestimmte Menschen nicht. Wir haben kein Angebotsdefizit, sondern ein Zugangsdefizit.

Wobei daran – Stichwort Niedrigschwelligkeit – auch gearbeitet wird.

Zusätzlich sollte man sich aber auch keine Illusionen über bestimmte Korrelationen machen. Ich komme noch einmal auf den Sektor Bildung zurück. Es gibt zum Beispiel die Annahme, dass gebildetere Menschen sorgsamer mit dem Klima umgehen. Aber: Das Gegenteil ist der Fall. Der CO2-Ausstoß von hochgebildeten Menschen ist viel höher als der von weniger gebildeten. Gleiches gilt beim Thema Gendergerechtigkeit: Studien haben gezeigt, dass gebildete Männer zwar ständig von Gleichberechtigung sprechen, sie in Beziehungen aber nicht leben. Ein Arbeitermann sagt vielleicht, dieser Genderscheiß ist mir egal, die Frau gehört an den Herd. In der Realität aber gehen Frauen in dieser Schicht kontinuierlicher einer Lohnarbeit nach, natürlich auch, weil sie es müssen, da der Mann allein die Familie nicht ernähren kann. Auch die Lohnunterschiede sind geringer. Gebildetere Frauen hingegen bleiben, da sie es sich finanziell leisten können, nach der Geburt ihrer Kinder gerne für längere Zeit zu Hause und arbeiten dann auch lange mit deutlich verringerter Stundenzahl. Mit Bildung korrelieren diese Probleme also wenig.

Ich ahne, warum einige so entsetzt waren über Ihre Bücher.

Ja, es ist einfach absurd zu glauben, dass in einer Gesellschaft, in der alle gebildet sind, alles wunderbar laufe. Es ist doch so: Je gebildeter die Menschen sind, desto länger dauern beispielsweise auch Diskussionen. Schauen Sie sich die Machtdebatten am ­Theater an. Es ist kein Wunder, dass Institutionen wie Theater oder Universitäten zu sehr hierarchischen Strukturen tendieren, denn sonst käme man vor lauter Debatten gar nicht mehr voran.
Das heißt aber nicht, dass Debatten schlecht sind. Man bekommt nur die Probleme, die man sich verdient hat – und das ist gut! Eine offene Gesellschaft funktioniert nur mit einem hohen Bildungsniveau. Es führt eben nur dazu, dass man sich die ganze Zeit streitet, kontrovers diskutiert und ohne Ende kritisiert. In diesem Zustand befinden wir uns ja gerade. Egal, was man macht, es hagelt Kritik. Einige empfinden das als nervig, aber es ist auch ein guter Indikator dafür, dass das Bildungsniveau ganz gut ist. Es macht die Sache nur nicht angenehm. Und führt nicht unmittelbar zu klaren Lösungen.

Diesen Punkt machen Sie auch im „Integrationsparadox“ stark: Mehr Leute am Tisch führen zu mehr Konflikten. Das Schöne ist: Hat man diesen Mechanismus akzeptiert, bekommt man wieder Lust, diese Konflikte auch produktiv auszutragen.

Genau. Streit ist eine selbstverständliche Sache. Ich kann gut nachvollziehen, dass Leute Angst bekommen, wenn Kontroversen entstehen. Denn am Ende muss ein Theater, ein Betrieb, eine Gesellschaft funktionieren. Das ist die Herausforderung: die Konflikte angehen, gleichzeitig aber konflikttheoretisch so erwachsen sein, dass sich alle Mühe geben, am Ende zu einem Ergebnis zu kommen. Aber da sind wir noch nicht. Was wir brauchen, ist eine Konfliktkultur. Gerade weil wir uns in einem Epochenwandel befinden und sich so viele Menschen wie noch nie aufgrund von Bildung und Teilhabe streiten wollen und können. Auch die medialen Möglichkeiten, sich am Streit zu beteiligen, ohne dass es jemand moderiert, sind gewachsen. Ebenso die Themenvielfalt, über die sich streiten lässt. Überall sind Baustellen. Wie in jeder lebendigen Stadt. //

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