Forschung oder Handwerk?
Neun Thesen zur Zukunft der Ausbildung für die darstellenden Künste
von Heiner Goebbels
Erschienen in: Recherchen 96: Ästhetik der Abwesenheit – Texte zum Theater (08/2012)
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Wenn wir über die Ausbildung in den darstellenden Künsten sprechen, reden wir über das Ende einer langen Kette. Die Hochschulen für Theater und theaterbezogene Disziplinen für Tänzer, Sänger, Instrumentalisten, Schauspieler, Regisseure, Bühnen- und Kostümbildner sind das über lange Zeit entwickelte Resultat einer ästhetischen Konvention. Alle diese Ausbildungsstätten wurden gegründet mit der einzigen Absicht, Nachwuchs bereitzustellen für die repräsentativen Institutionen, die Abend für Abend Ballette, Opern, Konzerte, Theater und Musicals präsentieren. Sie sind das Ergebnis einer real existierenden künstlerischen Praxis, die mindestens hundert Jahre alt ist – die Grundannahmen für die Opernausbildung sind sogar um einiges älter. Sie wurden nicht gebaut, um die Ästhetik zu erneuern, geschweige denn um die Strukturen und Institutionen, für die sie ausbilden, infrage zu stellen. Und damit ist die Ausbildung für den existierenden „Markt“ das letzte und langsamste Glied in einer Kette aus Kunst, Kunstinstitution und Ausbildung für die Kunstinstitution.
Dass den Absolventen zunächst verlässliche Jobs an den Theatern und Opernhäusern in Aussicht stehen, ist ein wichtiges Ziel – aber es ist unverantwortlich, sie nicht zugleich für eine darüber hinaus vielleicht unsichere und weit komplexere Zukunft vorzubereiten. Und mit jeder Generation von Absolventen laufen wir Gefahr, die herrschende Auffassung der künstlerischen Disziplinen, so wie sie...