Theater der Zeit

Auftritt

Saarbrücken: Der Onkel mit dem Umhängesack

Saarländisches Staatstheater: „Die Stunde der Komödianten“ (UA) nach Graham Greene. Regie Christoph Diem; „Die Kleinbürgerhochzeit“ von Bertolt Brecht. Regie Dagmar Schlingmann

von Dorte Lena Eilers

Erschienen in: Theater der Zeit: Übermaß und Aberwitz – Der Schauspieler Bernd Grawert (02/2013)

Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Saarland Saarländisches Staatstheater

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Medea. Ausgerechnet! Ein Name wie ein Omen. Holzgeschnitzt und unheilvoll prangt er seitlich an dem Schiff, das arg mitgenommen und rostig auf dem Vorplatz steht. Aus einem Lautsprecher an Deck scheppern tapfer ein paar Songs, der Blues einer Bessie Smith, Frank Sinatras schnapsseliger Swing. Hin und wieder, wenn der Schornstein qualmt, scheint es, als rauche sie lässig eine Zigarette: Medea, die Schöne, die sich in fremden Landen einst verlor. Hier jedoch sind es ihre Passagiere, die bald Entsetzliches erleben. Wie dieser Major, Mr. Jones, der ab und an aus dem Kajütenfenster blickt. Ein schlanker, stiller Mann mit schlottrigem Anzug, den er nie wechselt. Und Augen, so traurig, als sähen sie alles. Oder nichts.

Es ist eine krude Gesellschaft, die an diesem trüben Augustmorgen Kurs auf Portau- Prince genommen hat. Menschen mit Namen so farblos wie ihr Leben: Als Jones, Smith und Brown stellen sie sich vor. Dort auf Haiti erhoffen sie sich wieder eine Existenz in allen Nuancen. „Wir lieben“, jauchzt Mrs. Smith, „die Farbigen ja ungemein!“ Doch diese grellbunten Träume machen sie nur noch blinder für alles: Haiti in den 60ern, das ist ein düsterer, dunkler Ort. Bis an den Bühnenrand hat Christoph Diem die Alte Feuerwache vernagelt. Gazevorhänge, raumhohe Stellwände – auch dem Publikum ist der Blick verstellt. Erst nach und nach wird sich das ganze Grauen offenbaren.

Mit „Die Stunde der Komödianten“ hatte der englische Schriftsteller Graham Greene einen Politthriller mit gehörig Zündstoff geschrieben. Die Geschichte spielt auf Haiti zur Zeit der Schreckensherrschaft „Papa Doc“ Duvaliers. Der selbsternannte Diktator der einstigen französischen Kolonie hatte den Inselstaat 1957 unter seine Gewalt gebracht, sein Regime war durch und durch blutig: Regelmäßig zogen mordend die Tontons Macoutes durch die Straßen, ein Schlägertrupp, von der Bevölkerung „Onkel mit dem Umhängesack“ genannt. Greene, der Joseph Conrad verehrte und etliche Crime Stories schrieb – neben den „Komödianten“ wurden auch der „Orientexpress“ und „Der dritte Mann“ später verfilmt –, war ein vehementer Kritiker des Kolonialismus gewesen. Deshalb beharrte er darauf, dass sein Roman, wenngleich in weiten Teilen Fiktion, in einer Hinsicht doch absolut authentisch sei: in der Schilderung des armen Haiti und der Regierungsmethoden „Papa Docs“. „Es wäre unmöglich“, schrieb er im Vorwort, „eine solche Nacht noch zu schwärzen.“

Regisseur Christoph Diem erzählt diesen finsteren Roman, dessen Theaterfassung er selbst gemeinsam mit dem Dramaturgen Holger Schröder entworfen hat, mit eleganten Referenzen zum Genrefilm. Nur dass er die Genres hier aufs Unheimlichste vermischt. Beginnend auf dem Vorplatz der Alten Feuerwache, wo tatsächlich ein rostiger Kahn aufgebockt vor Anker liegt, kippt die Abenteuerromantik der Südseereisenden, die an die dandyhafte Süffisanz des großen amerikanischen Nachkriegskinos erinnert – z. B. einer „African Queen“, die zu einer Zeit spielt (Erster Weltkrieg), als der koloniale Eifer noch ganz ungebrochen war –, alsbald in eine veritable Crime Story: Im Swimmingpool von Hotelier Brown liegt unschön eine zerknitterte Leiche. Doch ist dies für die Reisenden nur der erste Schock.

Graham Greenes Zivilisationsflüchtlinge sind Naivlinge, wie sie jüngst auch Christian Kracht in seinem Roman „Imperium“ zeichnete: Träumer, Abenteurer, Enthusiasten, die die Realität komplett verkennen. Oder besser gesagt: verkennen wollen. Denn die Farce, die sich ihr Leben nennt, haben sie selbst schon längst durchschaut: ein Hotelier, der keine Gäste hat, ein Major ohne Rangabzeichen und ein Ehepaar, das im hungerleidenden Haiti eine Vegetarierkolonie errichten will. Wer derart am Rande des Lebens steht, muss einigen Budenzauber betreiben, um nicht zu stürzen. Sie sind Komödianten – nur leider eben schlechte. Graham Greene schickt diese Lebenslügner auf eine lange quälende Reise, ins Herz der Finsternis, um das eigene daran zu schwärzen. Kapitän: In der Nacht, wenn Sie das Schießen hören. Mrs. Smith: Schießen? Warum schießen?

Um diese Frage zu klären, wird auf der Bühne allerlei Aufwand betrieben. Beständig schieben Bühnenarbeiter Kulissenwände hin und her (Bühne Florian Barth). Mal fließend, mal etwas rumpelig sind so Filmschnitte möglich, die nach und nach enthüllen, was auf Haiti so alles geschieht. So sieht man raumhohe Fotos vom zerstörten Port-au-Prince, Bilder, die recht bissig auch an Kampagnen von Hilfsorganisationen erinnern. Scharf fährt an einer Stelle dann ein Filmausschnitt dazwischen; Peter Glenville hatte den Roman 1967 verfilmt. Ein Begräbnis ist zu sehen, den abtrünnigen Wohlfahrtsminister hat es erwischt. Reifen quietschen, Schüsse fallen, die Leiche wird verladen und entführt. Angeblich, so heißt es, sei François Duvalier auch Voodoo-Priester gewesen. Vielleicht sind deshalb im Stück alle Haitianer bereits tot. Mit blutüberströmten Gesichtern stehen sie bei Christoph Diem auf der Bühne, Untote, Zombies, wie eine Botschaft aus einer anderen Zeit. Die Reisenden scheint dieser Anblick jedoch nicht weiter zu stören. Sie sind eh blind. Sehen einzig nur sich selbst.

So besitzen Graham Greenes „Komödianten“ daher auch heute noch Brisanz, weil sie erzählen, wie einfach es sich mit Diktatoren lebt. Entweder man schaut nicht so genau hin, wie dieser Brown es zu praktizieren pflegt, oder man glaubt, wie Major Jones, man könne mit ihnen verhandeln. Die Machtergreifung „Papa Docs“ jedenfalls war von den USA zumindest geduldet – aus Angst, Haiti könne dem Kommunismus verfallen. Lange haben sich auf diese Weise auch andernorts Despoten gehalten, mitunter vom Westen gar hofiert.

Es ist eine schier schwindelerregende Mischung aus Schrecken und Witz, Ernst und Trash, Politischem und Privatem, die Christoph Diem hier angerührt hat, getragen vom subtilen Biss der Greene’schen Sprache, die sich in ihrer englischen Noblesse beständig am Entsetzen reibt. Gerade dies macht die Inszenierung so bedrückend. Figuren wie Jones und Brown, die bei Boris Pietsch und Hans-Georg Körbel mit einem eleganten Sidestep untergehen, in traurigem Ernst gefangen in ihrem Witz.

So gesehen könnte die „Kleinbürgerhochzeit“ von Bertolt Brecht, ein früher Einakter von 1919, den Intendantin Dagmar Schlingmann in einer Kooperation mit dem Théatre National du Luxembourg inszeniert hat, eine Art Vorstudie der „Komödianten“ sein. Als noch niemand abgereist ist. Noch niemand getürmt. Sondern alle noch zusammengepfercht beisammensitzen, schwitzend, mampfend und vor allem: schweigend. Denn zu sagen hat sich diese Hochzeitsgesellschaft schon lange nichts mehr. Auch hier regiert der Witz, und auch hier dient er als Kostüm, von Menschen, die sich ihre Illusionen ums Verrecken nicht nehmen lassen wollen. „Familie – das ist doch das Beste, was wir Deutschen haben!“

Bühnenbildnerin Sabine Mader hat dafür eine wunderbare Anna-Viebrock-Stube entworfen mit Blümchentapete und Eichenmöbeln, in der Tiefe jedoch gehörig gestaucht, so dass sich die Hochzeitsgäste, die sich einer nach dem anderen linkisch durch die Wohnzimmertür schieben, nur in komischsten Verrenkungen entlang der langen Tafel auf ihren Platz quetschen können. Aufgereiht sitzen sie dann vor einem. Just married. Oder: Just died. Ja, es könnte tatsächlich ein letztes Abendmahl sein.

Ausgehend von diesem starken Beginn knurpscht das Ensemble jedoch zusehends an der Sprache herum wie der Bräutigam an seinem trockenen Gebäck, sichtlich unentschieden, welche Haltung es gegenüber diesem frühen Text Brechts einnehmen soll: epische Verfremdung, kreischende Klamotte, psychologische Raserei? Die bissigen Inneneinsichten in Brechts Bestiarium Mensch, in die Köpfe dieser Komödianten also, die sich im Vergleich zum Greene’schen Personal in einem präresignativen und daher ungleich aggressiveren Zustand befinden („Getretene, die gerne auch mal traten, um dann als kleine Nazis wieder aufzuerstehen“, schreibt Klaus Völker über „Trommeln in der Nacht“), bleiben so etwas hölzern wie das Mobiliar, das im Laufe des Abends zu Bruch geht. Ein sperriges Stück, das, wie es Dagmar Schlingmann in den bissigsten Momenten zeigt, nur so zu bändigen ist, wie es die Brautmutter dem Bräutigam empfiehlt: „Jakob, du sollst das Gebäck nicht schneiden!“ //

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