Theater der Zeit

Auftritt

Vorarlberger Landestheater Bregenz: „Es ist hell auf der Welt“

„Aus seinem Leben“ von Felix Mitterer (UA) – Regie Stefan Otteni, Ausstattung Matthias Strahm, Musik Oliver Rath

von Bodo Blitz

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Stefan Otteni Vorarlberger Landestheater

„Aus seinem Leben“ in der Regie von Stefan Otteni am Vorarlberger Landestheater arbeitet neben dem Ensemble des Hauses mit neun Laiendarsteller:innen. Foto Anja Köhler
„Aus seinem Leben“ in der Regie von Stefan Otteni am Vorarlberger Landestheater arbeitet neben dem Ensemble des Hauses mit neun Laiendarsteller:innenFoto: Anja Köhler

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Selten passt ein Stück so gut zu einem Theater, wie diese Autobiografie des Sozialrevolutionärs, Schriftstellers und Bauern Franz Michael Felder zum Vorarlberger Landestheater Bregenz. Felder lebte von 1839 bis 1869 im hintersten Ort des engen Bregenzerwaldes, nämlich in Schoppernau. Das ist heute nur wenige Autokilometer von Bregenz entfernt, der Hauptstadt Vorarlbergs. Und das Stück „Aus seinem Leben“ ist ein Geschenk des Franz-Michael-Felder-Vereins in Bregenz an das Vorarlberger Landestheater. Der Text schließlich stammt aus der Feder des renommierten Österreichischen Dramatikers Felix Mitterer. Es scheint, als hätte sich eine kritische diskursive Öffentlichkeit in Gestalt des Felder-Vereins und des Bregenzer Theaters miteinander vereint, um den demokratischen Ideen Franz Michael Felders aus der Feder des Dramatikers Felix Mitterer eine große Bühne zu bereiten.

Regisseur Stefan Otteni geht in dieser Uraufführung behutsam mit Mitterers Stückfassung um. Seine Leistung besteht darin, Elemente des Volkstheaters in seine Inszenierung so zu integrieren, dass die Ebene des Kitsches vermieden wird. Die Aufgabe der Regie ist gewaltig, insofern sechs Schauspielerinnen und Schauspieler mit neun Laiendarstellerinnen und -darstellern interagieren. Neben vier Mitgliedern des Bregenzer Bürgerchors spielen auch fünf Darsteller eines der ältesten Bühnenvereine Österreichs mit, passenderweise aus dem Dorf Bizau – wie Schoppernau ebenfalls Bregenzerwald. Sowohl diese Mischung aus Laien und Profis als auch das Nebeneinander von Hochsprache und Dialekt zeichnen diese Uraufführung aus. Otteni leuchtet solchermaßen den für Felder zentralen Begriff der Heimat facettenreich aus.

Die fast dreistündige Inszenierung selbst hat zwei Teile. Zwei Drittel des Stückes widmen sich bis zur Pause der Biografie Felders. Mitterers Text orientiert sich an Felders Biografie „Aus meinem Leben“. Gegliedert wird die Textchronologie durch die Schicksalsschläge Felders, den drohenden Verlust des Augenlichtes, den frühen Tod des Vaters und das im letzten Moment verhinderte Ertrinken im Fluss der Aach. Ottenis Regiekonzept lässt sich als Primat der Zugänglichkeit zur Person Felders interpretieren. Früh schon betont Ottenis Regie den Status des Sonderlings, wenn dem jungen und besonders empfindsamen Felder (Luzian Hirzel) in der Kirche so stark die Tränen kommen, dass der Vater mit ihm den Gottesdienst verlassen muss. Vor allem auf der Ebene der Emotion wird ersichtlich, warum sich Felder in der Literatur eine Welt öffnet, die er im engen Bregenzerwald nicht finden kann. Und doch kommt der politische Felder in diesem ersten Teil der Inszenierung zu kurz.

Das ändert sich nach der Pause. Regisseur Otteni und Dramaturgin Juliane Schotte haben Mitterers Stückfassung um Passagen aus Felders zahlreichen politischen Schriften angereichert. Die Inszenierung liest sich nach der Pause als politischer Diskurs. Spielort ist nun eine Gaststätte, in der sich Felder mit seinen Mitstreitern – dem Schwager Kaspar (Roman Mucha) und seiner Frau Nanni (Isabella Campestrini) – massiv gegen viele Dorfbewohner:innen samt Pfarrer (Thomas Schweiberer) verteidigen müssen. Zentrale Facetten aus Felders Kampf für Demokratie werden hier ersichtlich: seine Kritik an einer ausbeuterischen Grundherrschaft, seine sozialrevolutionären Ideen, sein praktisches politisches Tun, seine der Zeit weit voraus weisenden Ideen grundlegender Freiheit. Die Inszenierung gewinnt im Gegeneinander der unterschiedlichen Positionen an Tempo. Die Vielstimmigkeit dieses dörflichen Diskurses beinhaltet auch das belebende Gegen- und Miteinander von Hochsprache und Dialekt. Otteni lässt diesen zweiten Teil zum Schluss in eine Utopie Felders übergehen: Felder beschwört die Zukunft eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen in Freiheit. „Es ist hell auf der Welt“, so die Schlussworte. Die große Begeisterung des Premierenpublikums eine Woche vor der Nationalratswahl in Österreich macht Mut: Dem Bregenzer Landestheater gelingt das Kunststück, regionale und dörfliche Identität mit demokratischen und freiheitlichen Idealen zu verbinden. Das ist weit weg vom rechten Populismus, der ja gerade in ländlichen Regionen besonderen Zuspruch erfährt. Quasi durch die Hintertür der Felder-Biografie entfaltet Otteni ein Gegenbild zur aktuellen politischen Lage. Hut ab.

Erschienen am 26.9.2024

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