Die 1960er und 1970er Jahre
Schaubühne am Halleschen Ufer Berlin
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Die 1970 neuformierte Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer war für über ein Jahrzehnt der kulturgeschichtlich bedeutendste, künstlerisch überragende Ansatz, Theater in der vollen Entbindung des historisch gegebenen darstellerischen Potenzials wieder als eine gesellschaftlich wichtige, im weiten Sinne politisch kritische Tätigkeit zu behaupten. Eine Grundlage dürfte das luzide, realistische Bewusstsein der Macher von der eigenen sozialen Lage und der spezifischen Interessen als Künstler gewesen sein.
Einen wesentliches Moment der Haltung des neuen Ensembles hatte Peter Steins Inszenierung von Goethes TORQUATO TASSO 1969 in Bremen vorgezeichnet: Auf einer offenen, vorhanglosen, giftgrün ausgelegten Bühne zeigte man Theaterspielen als eine ganz eigenartige Arbeit. Die Darsteller waren ständig sichtbar, saßen am Rand oder im Hintergrund, traten in den Szenen in den Spielkreis, wenn es ihre Rolle erforderte. Der freundliche, anscheinend bis ins Vertrauliche gehende Umgang der Hofleute ließ besonders deutlich die soziale Kluft, die Abhängigkeit des Künstlers von seinem Auftraggeber werden, der Künstler Tasso selbst erschien als eine problematische, narzistische Persönlichkeit. „Wir spielen für ein bürgerliches Publikum Theater“, betonte Stein 1973. „Wir akzeptieren dies zunächst, weil es gar nicht anders geht.“ Man möchte darüber hinaus für ein Publikum spielen oder auf ein solches hinarbeiten, das „man ganz allgemein als progressiv“ bezeichnen könne, genauer,...