Theater der Zeit

Wegbegleiter im Theater

Das Prinzip Chefdramaturgie

Geschichten einer Liebe

von Stephan Märki

Erschienen in: Wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen – Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar Intendanz Stephan Märki (06/2012)

Assoziationen: Dramaturgie Thüringen Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Weimar

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Im besten Fall ist der Dramaturg der Kritiker im eigenen Haus. Dann ist die Beziehung zwischen Intendanten und Dramaturgen eine fruchtbare, mal engere, mal weitere Partnerschaft. Mit verteilten Aufgaben, Rollen und Strategien, aber mit einer Absicht: der Arbeit am guten Theater. Im schlechtesten Fall ist der Dramaturg der Kritiker im eigenen Haus. Dann ist die Beziehung gescheitert. Beide Fälle kennt jeder Intendant, denn sie entspringen derselben Quelle: dem Berufsstand. Die Dramaturgie ist eine der wichtigsten Abteilungen des Theaters. Sie ist fürs künstlerisch- geistige Profil eines Hauses genauso unverzichtbar wie das Künstlerische Betriebsbüro fürs Planungsgeschäft, die technische Direktion für die Koordination der Gewerke oder die Verwaltung für alle administrativen Vorgänge.

Die Geschichte der Liebe zwischen Intendant und Dramaturg ist also die gleiche wie die Geschichte ihrer Unverträglichkeit. Der eine will immer reden, der andere immer entscheiden. Der eine behauptet, der andere begründet. Der eine regt an, der andere begleitet. Doch es ist das Glück des Widerspruchs, dass sich ihre Haltungen, Aufgaben, Eigenschaften ergänzen. Ihre Auseinandersetzungen prägen das ästhetische Gesicht eines Theaters. Zwischen dem besten und dem schlechtesten Fall liegen also die gemeinsame Arbeit, die Lust, die Verzweiflung an ihr – und nicht zuletzt der Drang zur Ausschließlichkeit, den jeder im künstlerischen Bereich arbeitende Theatermensch in sich trägt.

Meine erste Weimarer Liebesgeschichte teilte ich mit Thomas Potzger, dem ich mein Engagement am DNT zu verdanken habe. Er prägte für mich das Bild des Chefdramaturgen, denn sein Pragmatismus, seine Menschenliebe und seine szenische Fantasie machten ihn darüber hinaus zu einem hervorragenden Schauspieldirektor. Wir arbeiteten in der Nachwendezeit zusammen, in einer Art Nachwende - depression, in der sich die Gesellschaft zu neuen Identitätsfindungen gezwungen sah. Auch auf der Bühne mussten wir nach neuer Identität suchen, weil die Theater ihren selbstverständlichen Ort des ästhetischen und gesellschaftlichen Widerspruchs verloren hatten. Es entstanden Konflikte um ästhetische Konzepte des Nachwendetheaters. Ich war der Ansicht, dass der soziopolitische Bruch, der mit dem Ende der DDR einherging, einer anderen theatralischen Entgegnung bedürfe, und suchte Wege, um diese Ratlosigkeit zu überwinden. Potzger hatte zu dieser Zeit ein distanziertes Verhältnis zu offeneren, performativen Spielformen und Erzählweisen, ich hielt sie für unverzichtbar für eine zeitgemäße Neuausrichtung des Theaters. Die Trennung von Thomas Potzger war die schwierigste Personalentscheidung meiner Theaterarbeit, denn es zeigte sich, wie schwer ästhetische und sozialisierte Differenzen wogen, obschon wir Freunde waren.

Die Suche nach neuen Theaterformen war auch die Suche nach einer neuen Gestaltung des Widerspruchs von Formen der Theaterproduktion. Das struktursubventionierte Stadttheater neigt zur Bequemlichkeit, wenn es nicht von Mal zu Mal irritiert wird. In ihrer Kombination mit oder fein justierten Hinzugabe von Produktionsweisen der freien Szene, in der ich groß geworden war, liegt für mich nach wie vor ein gewichtiges Erneuerungspotential. So gelang es, mit Susanne Winnacker, die aus dem Festivalbetrieb kommend mit dem Stadttheater aus kenntnisreicher Überzeugung nichts zu tun haben wollte und dann eben doch Interesse daran entwickelte, das Denken und Handeln des freien Theaters auf die Bühne der Stadt zu übertragen. Wir suchten und fanden auch in der Entwicklung ganz junger Regisseure und Schauspieler andere Sprachen und ästhetische Vielfalt auf der Stadttheaterbühne, die das Publikum begeisterten, irritierten, nachdenklich machten und auch abstießen. Und wir stritten, was das Zeug hielt. So veränderte sich auch hier das ästhetische und kollaborative Widerspruchsverhältnis; bestimmte Richtlinien und divergierende künstlerische Haltungen kollidierten, aber nichts - destotrotz und wahrscheinlich eben deshalb hielt auch diese Liebe zwischen Intendant und Chefdramaturg fruchtbare fünf Jahre. Dieses Verhältnis (und auch das von Regisseuren zu Dramaturgen) muss eng sein, um produktiv zu sein. Darum ist die Beziehung so konfliktträchtig. Kaum ein Haus, in dem jenes Spannungsfeld fehlt – und wo es fehlt, ist Trägheit nicht weit. So ist das Glück der Dauer oft ein begrenztes; doch während es dauert, muss es beständig sein, damit die künstlerische Gestaltungskraft nicht ermattet.

In der Zusammenarbeit mit den beiden folgenden Chefdramaturgen, Hans-Peter Frings und Bettina Schültke, war im künstlerischen Streiten wieder zu erfahren, dass die Entscheidungssehnsucht des Intendanten der Neigung der Dramaturgie zum beständigen Disput bedarf. Nicht selten ist dann jener Drang zur künstlerischen Ausschließlichkeit federführend, der beiden Seiten innewohnt.

Brüche sind die Belege für die Möglichkeit der Dauer, beide finden ihre Wege durch die Zeit. So sind zwei Namen zu nennen, die die zwölf Jahre Weimar inhaltlich und ästhetisch ganz wesentlich begleitet und geprägt haben, die sich – weit über die Einzelverantwortung ihrer Produktionen hinaus – der Gesamtbetrachtung und -verantwortung des Hauses verschrieben fühlten: Michael Dißmeier als Regisseur und leitender Dramaturg des Musiktheaters und Claudia Meyer erst als Schauspielerin, dann als Hausregisseurin im Schauspiel. Und für eine etwas kürzere, aber für das Haus auch entscheidende Zeit muss Thomas Schmidt genannt sein. Seine außergewöhnliche Qualität über sein Amt als kaufmännischer Geschäftsführer hinaus stabilisierte das Haus in den Kämpfen um sein (Über-)Leben. Ungewöhnlich genug, blieb er dem Haus immer auch ein wichtiger, streitbarer künstlerischer Partner und Berater.

Die Quadratur des Kreises gelingt immer nur im Prozess; und immer liegt ihm die gemeinsame Liebe zum Theater zugrunde. Denn das Theater ist in seinen Wurzeln ein nomadischer Betrieb, genährt von der Kontinuität des Wechsels und der Veränderung – und wie könnten seine Beteiligten dann anderer Art sein?

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