Gespräch
Was macht das Theater, Gernot Grünewald?
von Tom Mustroph
Erschienen in: Theater der Zeit: 75 Jahre Theater der Zeit – Ein Jubiläumsheft (05/2021)
Assoziationen: Akteure Dossier: Was macht das Theater...? Deutsches Theater (Berlin)
Gernot Grünewald, in Ihrem Projekt „Selbstvergessen“ stehen Kinder und Jugendliche auf der Bühne, die an einer Art lebendigem Familienarchiv arbeiten: Sie erforschen die Biografien und Lebenserinnerungen ihrer nicht mehr erinnerungsfähigen Großeltern. Wie kann man sich den Abend konkret vorstellen?
Wir arbeiten mit verschiedenen dokumentarischen Elementen. Die Jugendlichen haben, soweit das möglich war, Interviews mit ihren dement gewordenen Großeltern geführt. An den Tonspuren spürt man, wie sich Vergessen im Sprach- und Erinnerungsvermögen abbildet. Kern des Projektes ist aber, wie sich Erinnern über persönliches Erleben, Familiengedächtnis oder Archive vollzieht. Außerdem arbeiten wir mit digitalen Scans, die das Thema Erinnern und Vergessen jenseits des Haptischen oder des persönlichen Reflektierens in den digitalen Raum übertragen.
Woran erinnern sich die Großeltern, sofern sie sich erinnern? Sind das vor allem die Kindheits- und Jugendjahre, also die Zeit, in der sich die jetzt auf der Bühne stehende Enkelgeneration selbst befindet?
Es ist eine Art Spiegelachse. Die Jugendlichen werden auf der Bühne zu Wiedergängern ihrer eigenen Großeltern. Wir erleben sie am biografischen Anfang ihres Lebens, der von den Großeltern am längsten erinnert wird. Demenz hat neben aller Tragik auch etwas sehr Faszinierendes: Man vergisst rückwärts, zunächst das, was vor fünf Minuten, dann das, was vor einem Monat oder...