Magazin
Talentproben
Das International Performing Arts Festival Outnow! in Bremen – eine virile Plattform für den Nachwuchs
von Jens Fischer
Erschienen in: Theater der Zeit: Miser Felix Austria – Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater (09/2019)
Assoziationen: Bremen Theaterkritiken Theater Bremen
Zwei schwerstarbeitende Künstlerkörper im Schweiße ihrer Bewegungen. Dazu hüpfen Tropfgeräusche aus Eimern, schwellen an zu Großstadtlärm. In dessen Rhythmus kompiliert Tänzer und Choreograf Hamdi Lakhdher den Bewegungskanon von Bauarbeitern und häuslichen Tätigkeiten, addiert Breakdance-Akrobatik, zitiert feierabendliche Männerrituale. Hetzt mit einem weiteren Tänzer selbstbehauptungswillig hin und her zwischen all den Anforderungen. Beide pendeln sich dabei lustvoll erschöpfend auf die Schwingungen des quer über die Bühne schlenkernden Lautsprechers ein, aus dem Partymusik dröhnt, und überführen ihre sportive Mobilität in Ausdrucksformen des zeitgenössischen Tanzes. Für den sie in der Heimat Tunesien kaum Zeit haben, da ihr Auskommen auf Großbaustellen verdient werden muss. Eine Szenencollage des Alltags – als beeindruckend elegante Choreografie: „I Listen, (You) See“. So eröffnet das Festival Outnow! im Theater Bremen. Und schickt das Publikum anschließend auf eine Reise: beschenkt mit Grünzeug, versorgt mit Bier und Schrumpelmöhren, 2,5 Kilometer zur nächsten Aufführung. Eine Prozession durch Ufer-, Park- und Stadtlandschaft, nur gestört durch kauzköpfig intervenierende Installationen, die Studierende des Fachbereichs „Temporäre Bauten“ an der Hochschule für Künste Bremen unter dem Titel „Zwischenräume“ bespielen – leider ohne Überzeugungskraft.
Auch das Theater Bremen und die Schwankhalle eliminieren institutionelle und räumliche Grenzen. Der Platzhirsch beim Suchen und Finden neuer Musik-, Sprech- und Tanztheaterästhetiken und die Gastspielstätte der performativen Künste richten zusammen das internationale Festival für Kreative, die am Anfang ihrer künstlerischen Karriere stehen, aus und teilen sich den 60 000-Euro-Etat. Mit Erfolg. Jahre nach ihrem Outnow!-Debüt finden sich etwa Oliver Zahn und das Kollektiv Henrike Iglesias im regulären Spielplan der Schwankhalle wieder, das Theater Bremen engagierte Leonie Böhm für drei Inszenierungen.
Sechzig Künstlerinnen und Künstler wurden dieses Jahr für vier Tage eingeladen, zu performen, anderen zuzusehen, sich in Feedbackrunden mit Kollegen, Dramaturgen oder Kulturproduzenten auszutauschen und von Festivalbloggern und -radiomachern promoten zu lassen. Auch Workshops zur Selbstvermarktung sind im Angebot. Outnow! ist aber nicht nur viril-kuscheliges Künstler-, sondern auch nachgefragtes Publikumsfestival. Ist der Spielplan doch reizvoll bestückt mit Beispielen, wie derzeit im Graubereich zwischen Schauspiel, Tanz und Performance gewerkelt wird. Dabei punkten klug gesetzte Sujets mit wohlfeiler Aktualität, wobei das Theatermachen gleich mit thematisiert wird.
Allerdings nicht in ausgewachsenen Inszenierungen. Vielmehr sind Showcases als Talentproben zu erleben. So versucht Julia B. Laperrière mit umgeschnalltem Plastikpenis maskulin zu gehen, präsentiert so den Geschlechts- als Gewaltakt. Regisseurin Jacqueline Reddington isoliert einen jungen Nerd in einem Bühnenbildhaus, wo er sich derart in die digitale Welt verstrickt, dass ihn die Aussicht auf ein analoges Date mit einer Frau panisch macht. Fingerübungen sind das, die nicht vollends zünden, da ein wirklich origineller Ansatz, dramaturgische Raffinesse und manchmal auch darstellerische Präsenz fehlen.
Die liefert Franz-Xaver Franz, zu erleben als Ich-Darsteller und Rainer-Werner-Fassbinder-Arschloch in „Leck mir die Wunden“ (Regie Meera Theunert) im Theater Bremen. Aus der Analyse gesellschaftlicher Gewalt und Legitimationsversuchen gewalttätigen Widerstands generiert er ein fulminantes Kabarettsolo, das mit zeitgenössischen Diskursen und Verweisen auf Fassbinders Werk spielt. Franz triumphiert als Vollblutperformer.
Genauso in der Schwankhalle Karolin Poska in „Thank You. You’re Welcome. Thank You. You’re Welcome. Thank You“: Sie beginnt mit dem Ende, bedankt sich verbeugend beim Team hinter den Kulissen, das Publikum klatscht verlegen. Mit gespielter Unsicherheit führt die estnische Tänzerin daraufhin selbst die Hände rhythmisch gegeneinander und steigert sich im Dialog mit den Besuchern in einen mit Tanz und Gesang verzierten Applaus-Rausch. Badet in dieser Musik, der gefühlten Anerkennung als Künstlerin. Hochkomisch ihr Kampf, den fragilen Moment zu verewigen, bis die Zuschauer kaum anders können, als über ihre Klatschkonvention zu reflektieren. Ein hinterrücks schlauer wie vordergründig charmanter Höhepunkt der vielen sinnkräftigen Outnow!-Miniaturen. //