Theater der Zeit

Kolumne

Ist Grönland noch zu haben?

Klimawandel: Aufforderung zum Diskurs-Pogo

von Ralph Hammerthaler

Erschienen in: Theater der Zeit: Cordelia Wege – Schöpferisches Risiko (02/2020)

Assoziationen: Debatte

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Das Stück der Stunde stammt aus dem Jahr 1978, eine Komödie in 33 Gesängen von Hans Magnus Enzensberger, „Der Untergang der Titanic“. Gerade läuft es, schwindelerregend inszeniert von Philipp Preuss, im Theater an der Ruhr in Mülheim. Dort sitzt das Publikum auf der Drehbühne und wird den unterschiedlichsten Perspektiven ausgesetzt. Was kommt als Nächstes und wer? Im Prinzip eine kreisende Fahrt mit der Geisterbahn. Es spuken Uto­pien mit integriertem Verfallsdatum, Ungerechtigkeiten der Welt und Passagierklassen, Machbarkeitswahnwitz und kalte Ernüchterung, als am 14. April 1912 gegen 23.40 Uhr das unsinkbare Schiff einen Eisberg rammt und als Spielverderber der Moderne dann eben doch sinkt.

Schon damals hat Enzensberger den Klimawandel, der früher weniger zutraulich Erderwärmung hieß, komödiantisch ernst ins Kalkül gezogen: „Die Glaziologen haben einen Mikro-Computer mitgebracht, / der, unter Plexiglas, während des großen Kolloquiums / über Klimaforschung, Eisberg-Simulationen ausdruckt / für die nächsten zweihundertfünfzig Jahre.“ Immerhin, das klingt optimistisch, wir dürfen noch 250 Jahre mit Eisbergen rechnen. Nicht ganz so optimistisch frage ich in meiner Reihe „Zeit für ­Zukunft“ den Klimaforscher Wilhelm Kuttler, mit dem ich in den Kulissen der Mülheimer „Titanic“ sitze, ob er davon gehört habe, dass Donald Trump Grönland kaufen wolle, jäh getwittert im ­vergangenen August. Hat er natürlich. Und ist für ihn auch nur logisch. Weil das Eis schmilzt und Bodenschätze freigibt wie ­Erdöl, Erdgas, Uran, Zink, Eisenerz und Diamanten. Und weil das US-Militär, wenn es nach Norden schaut, strategische Vorteile ­wittert. Wirtschaftliche Vorteile verspricht die aufknackende ­transarktische Schifffahrtspassage, welche die Reisezeit zwischen Asien und dem Westen um zwanzig Stunden verkürzen würde. Die Pointe liegt darin, dass Trump die Folgen der Erderwärmung für sich und sein Amerika bereits zu nutzen sucht, während er offiziell den Klimawandel leugnet.

So wie wir in Mülheim den Diskurs-Pogo im Theater tanzen, mit Gästen von Fridays for Future, mit Klimawissenschaftlern, Soziologinnen und Forschern für neue, nach Kohlendioxid schnappenden Technologien, so öffnen auch andere Häuser ihre Bühnen dafür, etwa das Berliner HAU mit dem Redereigen „Burning Futures“ – ziemlich dramatisch das Motto, weil Theater sich halt aufs Dramatische ziemlich viel einbildet. Im Berliner Radialsystem wurde ein Wochenende lang über „Climate Chance & ­Democracy“ debattiert, mit Josh Fox, einem Filmemacher und Umweltaktivisten aus den USA. Von ihm stammt die Fracking-Doku „Gasland“. Im Interview mit der taz beklagt er eine millionenschwere Schmiergeldkampagne der Ölindustrie gegen seinen Film: „Die haben eine Fake-Dokumentation gedreht, in der sie meinem Film vorgeworfen haben, Fake zu sein. Die Trump-Nummer also: das Wahre als falsch zu bezeichnen und die eigenen Lügen als Wahrheit.“

Mit protestierenden Jugendlichen direkt Theater zu spielen, das wagte Verena Regensburger mit ihrem dramatisch sich empörenden Projekt „These Teens Will Save the Future“ an den Münchner Kammerspielen. Politische Texte und Parolen werden künstlerisch überhöht, durch streng rhythmisierte Solostimmen und chorische Eruptionen. Auf der Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor, am Tag, als die Bundesregierung das Klimapaket beschließt, stehe ich neugierig herum, auch dann noch, als die Hunderttausend zu hüpfen anfangen, weil wer nicht hüpft, der ist für Kohle, dem Augenschein nach also ich. Aber nichts widerfährt mir, kein Stänkern, kein Rempeln, womit der wahre Pogo erst begönne, und diesen wahren Pogo werden wir brauchen. Fridays vor Future hat ein freundliches Gesicht und, wenn nicht alles täuscht, ein weibliches. Doch nehmt euch in Acht: Frauen sind zäh.

In Mülheim entern junge Aktivistinnen die „Titanic“-Bühne. Jennifer, 18 Jahre und schwarz, verblüfft das Publikum mit Nachdenklichkeit, die alles andere als naiv und blindwütig eifernd wirkt. Bei allem, was jetzt zu tun sei, müssten soziale Notlagen berücksichtigt werden. Ihre Mutter sei Putzfrau, sie wisse, wovon sie rede. Für die FfF-Bewegung bemühe sie sich, migrantische ­Jugendliche einzubinden. Nachher sagt eine ältere Frau zu mir: Wie ich diese junge Generation bewundere …

Aber es sind nur Teile dieser Generation, und sie müssen sich den Spott von Gleichaltrigen gefallen lassen. So weit, wie die Gesellschaft gerne wäre, ist sie noch lange nicht, und es könnte gut sein, dass sie nie so weit kommt. Klimaforscher Kuttler zum Beispiel musste erleben, dass, kaum war er emeritiert, sein Lehrstuhl für Angewandte Klimatologie abgewickelt wurde, von der Universität Duisburg-Essen. Das lässt nur einen Trugschluss zu: alle Probleme gelöst. //

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