Theater der Zeit

Gespräch

Licht an, Spot aus

Christoph Ernst über Bühnen als Startrampen für ein freies, unmittelbares, energetisches Spiel

von Dorte Lena Eilers und Christoph Ernst

Erschienen in: Arbeitsbuch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2 – 17 Bühnenbildner:innen im Porträt (06/2015)

Assoziationen: Akteure Kostüm und Bühne

NORA ODER EIN PUPPENHAUS (Henrik Ibsen) Staatstheater Cottbus, 2014. Regie Katka Schroth.
NORA ODER EIN PUPPENHAUS (Henrik Ibsen) Staatstheater Cottbus, 2014. Regie Katka Schroth.Foto: Foto: Marlies Kross

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Christoph Ernst, Sie arbeiten als Bühnen- und Kostümbildner sowohl in der Oper als auch im Schauspiel. Eine nicht einfache Kombination, führt einem das Schauspiel, so sagen zumindest Kollegen, doch häufig vor Augen, was in der Oper nicht geht: ein freies Spiel mit den Mitteln, dem Material, den Spielweisen. Wird man da nicht zynisch?

Für mich fängt ein interessanter Theaterabend mit den Leuten an, mit denen ich arbeite. Im Theater gerät man ja oft in werkimmanente Diskussionen. Das ist dann alles ganz wichtig und richtig innerhalb dieser Diskussion, interessiert von außen aber trotzdem keinen. Man vergisst völlig, warum man eigentlich mal angefangen hat, Theater zu machen. Das aber frage ich mich bei jeder Arbeit immer wieder aufs Neue, ganz grundsätzlich. Umso wichtiger finde ich es da, in Konstellationen zu kommen, in denen auf der einen Seite eine hohe Loyalität herrscht und auf der anderen eine hohe Kritikfähigkeit. Da hatte ich bisher Glück, dass ich mit Michael von zur Mühlen, Katka Schroth, Thirza Bruncken und Marcus Lobbes vier Regisseure kennengelernt habe, mit denen ich auf einer solchen Ebene gut zusammenarbeite. Und da ist es mir eben egal, ob ich in der Oper oder im Schauspiel arbeite. Die Möglichkeiten liegen darin, was ein Team denken und reißen kann. Aber zugegeben: In der Oper finde ich es gerade sehr mühsam.

Sie haben mit Michael von zur Mühlen 2013/14 an dem Projekt „Die Zukunft der Oper“ teilgenommen, das an der Kunstuniversität Graz unter Professorin Barbara Beyer versucht hat, Oper mit den Mitteln der Performance neu zu denken. Wie radikal das aussehen kann, hatten Sie bereits mit „Miss Donnithorne’s Maggot/Infinito Nero“ ­bewiesen, zwei Operneinaktern von Peter Maxwell Davies und Salvatore Sciarrino, die Sie 2010 mit Michael von zur Mühlen in der Werkstatt der Staatsoper Berlin inszenierten. Im ersten Teil, einer Art Installation, saß die Sängerin fast die ganze Zeit in einer Wohnbox, die bis auf ein paar Sehschlitze fürs Publikum geschlossen war. Im zweiten Teil haben Sie die Sängerin per Gaffer-Tape auf einer Spanplatte kreuzigen und in den Raum hängen lassen. Wie lief da die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Bühnenbildner ab? Hieß es: „Ich will die Sängerin kreuzigen, und jetzt bau mal!“?

In aller Regel entstehen die Räume aus einem thematischen Interesse heraus. Bei den zwei Einaktern hatte es sehr viel mit der Musik zu tun. Für zeitgenössische Musik ist Peter Maxwell Davies ja eher operettig. Eine Frau geht seit dreißig Jahren nicht mehr raus, weil sie von ihrer großen Liebe enttäuscht wurde. Für uns ein Bild der Staatsoper selbst: Verharren im ewig Gleichen, was draußen passiert, ist schon lange nicht mehr relevant. Sciarrino hingegen ist im Ausdruck total minimal und reduziert. Darauf hat die szenische Lösung mit Radikalität geantwortet. „Infinito Nero“ handelt von der religiösen Ekstase einer Hysterikerin aus dem Florenz um 1600 – Maria Maddalena de’ Pazzi. Wir haben sie festgetackert und als Ikone ihrer selbst in den Raum gehängt. Entscheidend dabei war, dass es noch zwei Nebenfiguren gab, die diese „Heilige“ manipuliert, bemalt, bearbeitet haben. Das war für uns auch ein Bild dafür, wie heute Oper oder überhaupt Kunst funktioniert, wo Künstler mitunter bloß das Aas für Dramaturgen und Kuratoren sind, die sich daraus ihre Wichtigkeit und Legitimation basteln und dann sagen: Wir sind das Ereignis.
Auch die materiellen Bedingungen sind da in einer extremen Schieflage. Der Abend hat ja an der Staatsoper stattgefunden, also an einer Institution, von der man annimmt, dass wahnsinnig viel Geld im System ist, was auch stimmt, aber in der Werkstatt der Staatsoper selbst ist halt nichts im System, die fährt eigentlich unter freier Szene. Trotzdem wird man mit dem Maßstab bewertet, dass das adäquat zum großen Haus ist. Da kamen die Materialien her, Pappe, Klebeband, Müll als Requisiten.

Ein Raum wie die Box bei „Miss Donnithorne’s Maggot“ ist typisch für Ihre Bühnen. Sie zeigen den Menschen in seiner Vereinzelung. Auch bei „Così fan tutte“, entstanden im Rahmen von „Die Zukunft der Oper“, saßen die Sänger in einer Reihe von Einzelzimmern, die teils nur über Video­bilder einsehbar waren, welche die Sänger selbst generierten. Die Sichtbarmachung eines Zeitgefühls. Aber bieten Ihre Bühnen auch Auswege aus der Isolation?

Wir leben in Zeiten, in denen das General­motto zu lauten scheint: Wenn jeder an sich denkt, ist auch an alle gedacht. Von daher finde ich es adäquat, Räume für Individuen zu schaffen, die sich selbst erst einmal genug sind. Aber natürlich ist da auch immer die Möglichkeit, zusammenzufinden.
Nur entstehen Verbände ja meist bloß aus Karrieregründen oder einer diffusen Sehnsucht, sich im anderen zu spiegeln. Das ist im Theater gerade wahnsinnig auffällig. Dort sieht man ja zwei Leute, die sich an gesellschaftlichen, politischen Themen abarbeiten und sich dabei gut verstehen, schon als Gefahr. Und das ist das eigentliche Problem: dass Arbeiten, die eine klare Haltung haben, als Gefahr gesehen werden und nicht als Möglichkeit. Aber genau dafür gibt es doch die Betriebe: für diese Möglichkeiten.
In Darmstadt hat am 4. Juni 2015 das Projekt „Schulden. Eine Befreiung. Dionysien“ von Michael von zur Mühlen und mir Premiere. Wir sagen da: Überwinden wir unsere innere Sparkasse, was heißt: Lass uns mal nicht so auf Sicherheit und den kleinsten gemeinsamen Nenner schauen, sondern die lebendige Kunst feiern. Dafür haben wir das Motto ausgegeben: Würde und Schönheit statt Demut und Blödheit! Da ist Schönheit als Negativ eben nicht Hässlichkeit gegenübergestellt, sondern Blödheit. Wenn ich in die Stadt gehe und sehe, wie sich diese Theaterbetriebe aufgestellt haben, muss ich sagen: Die haben alle keine Würde, keine Strahlkraft mehr. Alles ist demütig und klein. In einem großen exorzistischen Ritual über acht Tage versuchen wir da nichts weniger, als eine neue utopische Position zu formulieren.

Das klingt nicht nach Einzelzelle. Tatsächlich entwerfen Sie auch Settings, die mitten im Publikum angesiedelt sind, wie „Good News“ in der Wiener Garage X oder Brecht/Hindemiths „Lehrstück“ in der Werkstatt der Staats­oper Berlin, beides wieder Kollaborationen mit Michael von zur Mühlen. Bilden solche Settings eine besondere Herausforderung für Sie?

Dass Zuschauer wie in der Kirche angenagelt auf ihren Plätzen sitzen und in andächtiger Stille über sich ergehen lassen müssen, was sich irgendwelche Theatermenschen ausgedacht haben, finde ich ein obsoletes Geschäftsmodell. Klar, es gibt Vorgänge, die bedürfen einer gewissen Konzentriertheit, aber dann müssen eben wir auf der Bühne unserer Sache so sicher sein und sagen: Wir schaffen jetzt hier einen Raum der Konzentration, und da wird keiner rausgehen. Und da ist ein Raum wie die Werkstatt der Staats­oper im Schillertheater, die weiß gestrichen eben kein so trostloses Theaterloch ist, wunderbar geeignet, so etwas wie eine soziale Plastik entstehen zu lassen, wo alle, Zuschauer, Darsteller, Musiker, in irgendeiner Form involviert sind. Selbst mit den Neonröhren, die ich bei Arbeiten in Guckkastenbühnen immer wieder verwende, ist es im Zuschauerraum so knallhell, dass sich das Publikum als Mitspieler begreifen kann, zumindest als eine energetische Kraft. Auch die Darsteller sehen – was ich noch viel wichtiger finde – das Publikum als gestaltende Kraft. Das bringt Produktionen manchmal auch zum Kippen, wenn die Darsteller sehen, dass die energetische Kraft des Publikums stärker ist. (lacht) Das ist natürlich furchtbar. Aber wenn man Theater als einen Ort begreift, wo es um Energie geht und nicht um ausagierte Langeweile, muss man auch mal sagen: Okay, da waren wir nicht stark genug.

Die über der Bühne in starren Reihen aufgezurrten Neonröhren sind tatsächlich ein wiederkehrendes Element bei Ihnen. Sie geben den Räumen oft etwas Kli­nisches, Aseptisches, fast Laborhaftes.

Ich finde den Begriff Labor nicht so gut. Das hieße ja, da sitzen irgendwelche Forscher davor, und die Darsteller sind die Mäuse. Eben gar nicht. Wenn überhaupt Labor, dann ist es das ganze Haus, in dem auch ich nur eine Maus bin, ebenso wie der Zuschauer, der Darsteller. Was die Leuchtstoffröhren angeht: Ich habe festgestellt, dass mich diese ganzen Lichtspielereien nicht mehr interessieren. Überall taucht zum Beispiel dieses merkwürdig grellblaue Licht auf. Das habe ich zuerst bei Prolls gesehen, die damit ihre tiefergelegten Autos beleuchtet haben. Wieso das jetzt in wirklich jeder Inszenierung vorkommen muss, ist mir ein Rätsel. Wenn es zumindest noch was über Prolls erzählen würde. Aber so ist jeder Showact von „Wetten, dass …?“ ehrlicher, weil der nicht mehr sein will als bunt, um irgendwie drei, vier Minuten zu überbrücken. Im Theater wird dann immer behauptet, das sei Anspruch. Ich entdecke da aber oft keinen Anspruch mehr, weil wir mit denselben Mitteln agieren wie der „Wetten, dass …?“ Showact. Und da denke ich: Form follows function. Wenn wir doch einen anderen Anspruch ­haben, muss man auch über Beleuchtung anders nachdenken. Michael und ich haben zum Beispiel 
„Die Nibelungen“ in Weimar gemacht, drei Stunden ohne Pause in einer Lichtstimmung. So. Und da musst du eben was bringen. Da muss auf der Bühne etwas stattfinden, damit die Leute dranbleiben.

Ganz eigene Energien bringen die Laien mit, mit denen Michael von zur Mühlen hin und wieder arbeitet, zum Beispiel mit Asylbewerbern in „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ 2011 in Weimar. Muss man für diese Einbrüche der Wirklichkeit, die ja auch immer mit Risiko und Spontaneität einhergehen, besondere Räume bauen?

Mich interessiert das schon sehr lange und ich habe auch immer schon versucht, Räume zu bauen, die Startrampen sind, um Prozesse in Gang zu bringen, in denen sich die Darsteller stellvertretend für uns frei ausagieren können. Was mich am Theater inzwischen überhaupt nicht interessiert, sind dressierte Affen. Heute hat doch niemand mehr szenische und künstlerisch durchformulierte Entwürfe, die so etwas rechtfertigen. Von daher finde ich das Stichwort „performativ“ auch für den Arbeitsprozess wichtig, wo sich jeder unter einer gesetzten Fragestellung einbringen kann und soll. Toll ist es doch immer, wenn man in seinem eigenen Abend sitzt und feststellt: Oh, das ist aber jetzt intelligenter, als ich es alleine bin. Wenn also die zusammengeführten Menschen und Energien sich so verknüpft haben, dass etwas ­Unerwartetes, Elektrisierendes entsteht. //

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