10. Einbruch der Zeit: Weiterspielen in Berlin 1989/90
von Matthias Warstat
Erschienen in: Recherchen 174: Interventionen politischen Theaters (07/2025)
Der Gedanke der Intervention kann leicht in Machbarkeitsfantasien umschlagen. Wenn der Interventionsbegriff, der im alltagssprachlichen Gebrauch militärische, sozialpädagogische oder therapeutische Assoziationen weckt, auf die Künste oder das Theater angewendet wird, scheint er nahezulegen, dass Künstler:innen und Theaterleute vielfältige Möglichkeiten haben, durch ihre spezifische Praxis in Konflikte und Probleme der Gesellschaft einzugreifen. Von daher ist die Deutung nicht abwegig, dass intervenierende Künste in der Tradition der Avantgarden des 20. Jahrhunderts stehen, die die Kluft zwischen Kunst und Leben schließen wollten, politische, soziale wie auch therapeutische Ambitionen hegten und ihre Hoffnung darauf setzten, die Lebenspraxis durch ihre Kunst verändern zu können. In temporaler Hinsicht steht der Begriff der Präfiguration für die Idee, sich zielgerichtet zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegen zu können. Präfigurative Inszenierungen sind von dem Anspruch gekennzeichnet, Zukünftiges vorwegzunehmen oder Vergangenes wiederaufzurufen, um auf diese Weise die Gegenwart zu transformieren. Im zurückliegenden Kapitel wurden Performances erörtert, die zeitlich vor- oder zurückgreifen und als Interventionen zwischen den Zeiten verstanden werden können. Manche dieser Inszenierungen scheinen sich souverän zwischen den Zeiten zu bewegen und auf spielerische Weise Altes und Neues, Gestriges und Zukünftiges zueinander in Beziehung zu setzen. Im nun folgenden Kapitel soll eine andere Perspektive auf Zeiten des Intervenierens eingenommen werden....