theater und moral #7
Die planetarische Moral
von Frank M. Raddatz
Erschienen in: Theater der Zeit: Volksbühne Neu (11/2021)
Assoziationen: Debatte Wissenschaft Dossier: Klimawandel
Auch wenn momentan niemand weiß, wohin die sich aus der ökologischen Misere entwickelnden Turbulenzen führen, implizieren sie unabweisbar Fragen nach den Maximen der Lebensführung. Gesamtgesellschaftlich nehmen die Spannungen zwischen jenen, die sich mit künftigen Generationen bzw. gegenüber ihren Kindern und Kindeskindern solidarisch zeigen und ihren um das Prinzip Ego zentrierten Kontrahenten, die demonstrativ auf das Klima und die Verknappung der Ressourcen pfeifen, stetig zu. Zweifellos ist die Kollision des neoliberalen Menschenbilds mit dem Prinzip Verantwortung, verkörpert von jenen Teilen des sozialen Gefüges, die eine Einstellung des „Kriegs gegen die Zukunft“ (Philipp Blom) fordern, bühnentauglich. Nur werden Kämpfe, insbesondere wenn ihnen eine immense geschichtliche Schubkraft innewohnt, nicht auf dem Feld der Moral entschieden. Sie enden in der Regel auch nicht mit dem Sieg der Einsichtigen, wie bereits Henrik Ibsen mit „Der Volksfeind“ (1882) exemplarisch demonstrierte.
Seither hat sich wenig geändert. Noch immer kommen die Profite und die ökonomische Macht denjenigen zugute, die im Namen der Produktivität die (planetarischen) Rahmenbedingungen ausblenden. Noch immer rechnet sich ein derartiges Vorgehen, auch wenn es langfristig derart kostenintensive Nebeneffekte zeitigt, dass die Verluste die Gewinne schließlich um ein Vielfaches übertreffen. Bislang hat sich das Kapitalozän als äußerst kreativ erwiesen, wenn es galt, seine finstersten Schattenseiten durch...