Protagonisten
Von Afrika lernen
Frank Heuel inszeniert mit „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ ein Rechercheprojekt über unkontrollierten Goldabbau in Burkina Faso
von Irma Dohn
Erschienen in: Theater der Zeit: Abgründe des Alltäglichen – Das Staatstheater Braunschweig (06/2019)
Das Espace Culturel Gambidi ist ein selbstverwaltetes Kulturzentrum in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Das Binnenland in Westafrika zeichnet sich durch eine kreative und innovative Kulturszene aus, die international ausstrahlt. Um einen weiträumigen, staubigen Hof gruppieren sich verschiedene Probenräume, eine Schauspielschule, eine kleine Radiowerkstatt, ein Open-Air-Theater mit bis zu 500 Plätzen, das wegen der gleißenden Hitze nur nach der Dämmerung zu bespielen ist, sowie eine Garküche und eine Trinkbude, in der es kaltes Wasser und das gute Brakina, das einheimische Bier des Landes, gibt. Überall herrscht eine intensive Arbeitsatmosphäre, laute Gesprächsfetzen, Gesänge und fremde Klänge dringen herüber auf die Probebühne, wo unter sirrenden Ventilatoren (wenn es Strom gibt) der Bonner Regisseur Frank Heuel mit seinem internationalen Ensemble aus Burkinabe-Künstlern und deutschsprachigen Schauspielerinnen und Schauspielern vom Bonner fringe ensemble, dessen Künstlerischer Leiter er ist, über unkontrollierten Goldabbau in Burkina Faso arbeitet. „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ ist bereits sein drittes Theaterprojekt dieser Art in Westafrika. 2016 hat er in Cape Coast (Ghana) ein Stück über eine verseuchte Lagune inszeniert („Black Water“), ein Jahr später in Burkina Faso eine Theaterproduktion zum Thema Boden und Klima („La Terre, Ton Amie / Die Erde, deine Freundin“). „Bei einem der Besuche in der Region standen wir gänzlich unerwartet in einer gerade entstandenen Plastikzeltstadt“, erzählt Heuel, „mitten auf einem Feld, wo ein erst kürzlich errichteter Erosionsschutzwall nur noch zu erahnen war. Hier hatte jemand Gold gefunden, im Nu hatte sich der Fund herumgesprochen und eine wilde Mine war in Windeseile aus dem Boden geschossen.“ Als er seinem burkinischen Ensemble davon berichtete, war die Idee geboren: „Über Gold in Burkina müssten wir mal ein Stück machen!“ Mit dem Theater Bonn und dem Espace Culturel Gambidi gab es Kooperationspartner, ein Antrag bei der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Fonds Doppelpass bekam den Zuschlag, und so konnte die Arbeit losgehen.
Als Heuel mir vorschlug, ihn in das kleine Land in der Sahel-Zone, 1983 von dem damaligen Präsidenten und charismatischen Politiker Thomas Sankara (er regierte von 1983 bis 1987) von Obervolta umbenannt in Burkina Faso, „das Land der Aufrechten“, zu begleiten und als kritische Beobachterin sein Theaterprojekt zu dokumentieren, habe ich spontan zugesagt. Die Ausgangsbedingungen waren ideal, kannte er doch bereits die Schauspieler und Slammer Tony, B-Rangé und Térence vom Collectif Qu’on sonne & Voix-ailes, die in einem sehr eigenen, poetisch verdichteten Stil texten und performen, sowie den Schauspieler Lazare, einen begnadeten Komiker und Geschichtenerzähler.
Im Sommer 2017, zur heftigsten Regenzeit, hat Frank Heuel die wilden Minen besucht – mehr als 600 soll es davon in Burkina Faso geben. Seine burkinische Projektkoordinatorin Amina Yanogo, die mehrere Lokalsprachen der über 63 verschiedenen Ethnien und Kulturen beherrscht, hat ihm den Weg geebnet für Gespräche mit den Goldsuchern, mit den Frauen, die dort arbeiten, mit den Händlerinnen und Händlern, den Clan-Chiefs und den Ärmsten der Armen, die das aussortierte Gesteinsmaterial noch einmal bearbeiten, um noch ein Quäntchen Goldstaub zu ergattern – meistens Frauen mit ihren Kindern. Dieses dokumentarische Material war Inspirationsquelle und Ausgangspunkt für die teamorientierte Probenarbeit. Mit angehaltenem Atem saß ich in der ersten Durchlaufprobe. Das Ensemble arbeitete bereits seit zwei Wochen zusammen, es war drückend heiß, obwohl Dezember – die kälteste Jahreszeit in Burkina Faso. Nach dem musikalischen Opening der Slammer und einem furiosen Maskentanz des deutschen Schauspielers David Fischer mischen sich die Darsteller. Tony vom Collectif und die deutsche Schauspielerin Philine Bührer wirbeln spielerisch ihre Identitäten durcheinander. Wer ist wer? Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, alles ist Zuschreibung. Vertauschbar. Das ist die Vorgabe des ganzen Abends. Ein gesellschaftlicher Zukunftsentwurf.
Die Inszenierung ist ein virtuos verfremdetes Stück Dokumentartheater, das mit Leichtigkeit zwischen mehreren Sprachen – Deutsch, Französisch, Mòoré und Schwyzerdütsch – hin und her wechselt. Eine bildstarke Szenencollage, kurzweilig und unterhaltsam, die die Balance hält zwischen Komik, Selbstironie und Problembewusstsein und die sich ganz ohne moralischen Zeigefinger spielerisch und fragend mit dem komplexen und ambivalenten Thema auseinandersetzt. So wird versucht, in einer vor Spielfreude überbordenden Szene telefonisch den Staatspräsidenten von Burkina Faso zu erreichen, um eine Lösung zu finden für das illegal außer Landes gebrachte Gold, das über Togo steuerfrei in die Schweiz, den größten Goldaufkäufer des Burkina-Goldes, vertrieben wird. Mehrere Millionen Franken gehen dem burkinischen Staat dadurch verloren, die dringend für Krankenhäuser und Schulen gebraucht würden. Hier wird die Frage der neokolonialen Ausbeutung mit Europa in Verbindung gebracht. „Schmutziges Gold“, sagen die drei Slam-Poeten. „Es gibt keine Transparenz, woher das Gold kommt, wie es abgebaut wird, keiner fragt, unter welchen Bedingungen.“
Die Ausstatterin und Videokünstlerin Annika Ley hat für das Projekt eine offene Bühne entworfen, die dem theatralen Zugriff des Abends entspricht. In ihrer minimalistischen Bühnenästhetik zitiert sie die Materialien und Werkzeuge der Gruben: Lehm, Steine, Eimer, Hämmer, Grubenlampen, Goldwäscherschalen. Sie verwendet immer wieder die goldglänzenden Schutzfolien, die weltweit in Katastrophenfällen eingesetzt werden. Sie sitzt an ihrem Pult am rechten hinteren Rand der Bühne – gut sichtbar für das Publikum – und bespielt die Videoleinwand im Hintergrund mit Projektionen, Standbildern, Computeranimationen und Filmen.
Zu den eindringlichsten Momenten der Inszenierung zählt eine Szene, die auf einem Interview mit einer jungen Burkinabe beruht, die offen über ihre Sexualität und die Praxis der Genitalverstümmelung spricht, die in Westafrika in allen gesellschaftlichen Schichten und Religionen – trotz Verbot – weit verbreitet ist. Die Figur ist aufgeteilt auf die beiden weißen Schauspielerinnen Philine Bührer und Laila Nielsen, die ihre Geschichte leise, fast flüsternd und emotionslos erzählen, während ihre Gesichter in Großformat auf die Leinwand projiziert werden. In der zweiten Vorstellung in Ouagadougou verließ eine Reihe junger schwarzer Frauen das Theater, weil dieses Thema noch heute an gesellschaftlichen Tabus rührt.
„Voilà, c’est ça. So ist es“, sind die letzten Worte des Abends, bevor das Licht ausgeht. Gesprochen von dem burkinischen Schauspieler Lazare, es sind, bis auf ein „Danke“, seine einzigen deutschen Worte. Ansonsten spielt und spricht er – außer ein paar französischen Einsprengseln – Mòoré, die Regionalsprache der Mossi. Er spielt als Einziger eine durchgehende Rolle, die Figur des Bauern Brahima, der aufgrund seiner sozialen Not gezwungen ist, seinen erst 16 Jahre alten Sohn in die Goldminen zu schicken. Lazare hat sich die Geschichte zu eigen gemacht. Umwerfend komisch wie tieftraurig erzählt er sie mit einer Zartheit und emotionalen Tiefe, die berührt. „Ich bin nur ein einfacher Storyteller, der die Menschen unterhalten und sie zum Lachen bringen möchte.“
Ich bin mit vielen Fragen nach Ouagadougou gereist, von denen sich viele im Laufe der Arbeit aufgelöst haben. Frank Heuel ist es gelungen, mit Neugierde und Unvoreingenommenheit einen interkulturellen Diskurs auf Augenhöhe zu initiieren, der den afrikanisch-burkinischen Erfahrungsraum mit dem europäisch-deutschen verknüpft. Von Anfang an, von der gemeinsamen Themenfindung, über die Organisation und Struktur der Arbeit, die Verteilung der Mittel bis hinein in die kreative Phase, hat er die afrikanischen Partnerinnen und Partner gleichberechtigt in das Projekt eingebunden und die Kulturszene vor Ort gestärkt. Am
31. Mai feierte die Inszenierung „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ Deutschlandpremiere in Bonn. Statt sich von Afrika abzuschotten, sollte es darum gehen, „die Bedingungen zu untersuchen, unter denen wir uns einander authentisch begegnen können“, schreibt der afrikanische Philosoph und Historiker Achille Mbembe, ein Vordenker des radikalen postkolonialen Humanismus. Oder wie Christoph Schlingensief es für sein Operndorf in Afrika formulierte: „Von Afrika lernen“. //
Im Verlag Theater der Zeit ist soeben in der Reihe Recherchen, Band 144 erschienen: „Gold. Ein Theaterprojekt in Burkina Faso“, herausgegeben von Irma Dohn, Claudia Grönemeyer und Frank Heuel.