Protagonisten
Ermöglicher und Aktivist
Dem Regisseur und Theaterleiter Hartwig Albiro zum 90. Geburtstag. Ein Brief
von Hasko Weber
Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)
Assoziationen: Sachsen Akteure Hartwig Albiro Theater Chemnitz
Die Ausbürgerung von Wolf Biermann lag mehr als zehn Jahre zurück, als mir Hartwig Albiro eine Tonkassette mit heimlichen Konzertaufnahmen zusteckte und mir dringend anriet, da mal reinzuhören. Das war 1987 in Karl-Marx-Stadt. Eingeprägt hat sich mir diese Geste, weil sie typisch war für das zugewandte Interesse und die persönliche Unbefangenheit meines damaligen Oberspielleiters. Seine Erwartung war dementsprechend, er suchte den Austausch, nicht nur über Biermann, sondern übers Ganze. Diese freie Einladung finde ich aus heutiger Perspektive immer noch bemerkenswert. Zum einen, weil jener Austausch den politischen Rahmen bestimmte, welchen wir als Künstler für uns in Anspruch nahmen, zum anderen, weil sich darin die Kollektivität spiegelt, die in den meisten Ensembles gelebt wurde. Die Einladung zur Gestaltung, die Verwicklung ins Geschehen, die Suche nach einer Haltung haben mich geprägt und bestimmen meine Arbeit bis heute. Hartwig Albiro hat daran einen wichtigen Anteil.
Von 1971 bis 1996 war Hartwig Albiro Oberspielleiter und Regisseur am Schauspiel der Städtischen Bühnen Karl-Marx-Stadt, später Chemnitz. Eine Zeitspanne, die eine hoffnungsvolle Öffnung in allen Kulturbereichen Anfang der 70er Jahre genauso einschließt, wie die anschließende Zurücknahme von Freiheit und die permanente Kontrolle allen künstlerischen Handelns durch den Staat DDR. Der Umbruch 1989 wurde dann zu einer der wichtigsten Phasen innerhalb der bemerkenswert kontinuierlichen Theaterarbeit von Hartwig Albiro. Das Ganze, das System löste sich auf und ließ uns als Beteiligte zu Zeugen werden und erleben, wie fragil und relativ ein gesellschaftliches Selbstverständnis ist, das sich auf Unveränderbarkeit gründet. Hartwig Albiro trat in dieser Zeit aus seiner Eingebundenheit heraus, hat seine Position und sich selbst infrage gestellt. Nicht mit heiligem Pathos in der ersten Reihe, aber als Ermöglicher und Aktivist in seinem Theater. Er konnte seine Integrität bewahren, weil er seine eigene Ratlosigkeit nicht zu verbergen suchte und weiterhin auf Gemeinsamkeit setzte, auch als Künstler.
Hartwig Albiro inszenierte in seinem Theater insgesamt mehr als vierzig Stücke, galt als Goldoni-Spezialist und interessierte sich immer wieder für Uraufführungen. Als Oberspielleiter ging er außergewöhnlich uneitel mit den täglichen Unwägbarkeiten des Probenbetriebs um, besonders indem er künstlerische Konkurrenz nicht nur duldete, sondern unterstützte und förderte. Ob Piet Drescher, Irmgard Lange oder Frank Castorf, dessen Karl-Marx-Städter Inszenierungen nicht nur ästhetisch alles auf den Kopf stellten, was bis dahin galt, sondern auch dem Ensemble zu einem anarchischen Selbstbewusstsein verhalfen – es ging ums Ganze und um die Freiheit der Kunst, unbefangen und mit persönlicher Zugewandtheit. Für diese gemeinsame Erfahrung bin ich sehr dankbar!
Lieber Hartwig, dass du dich heute, mit nunmehr 90 Jahren, noch immer für die Förderung der Kultur und des Theaters deiner Stadt engagierst und dich für eine Verbesserung unseres Gemeinwesens ins Zeug wirfst, finde ich großartig!
Auf diesem Wege beste Wünsche zum runden Geburtstag, den du im Dezember gefeiert hast! In diesen bewegenden Zeiten wünsche ich dir vor allem Gesundheit und Glück!
Herzlich Hasko