3.4 Höre auf das Spiel-Angebot
von Dan Richter
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Ich habe es im Kommentar zur Shakespeare-Szene bereits erwähnt: Wenn wir mit allen Sinnen wahrnehmen, dann „lesen“ wir nicht nur die Wörter, die Sinnzusammenhänge und das szenischdramatische Angebot unseres Partners, sondern auch das angebotene Spiel21. Wenn wir uns die Szene noch einmal als Impro-Szene vorstellen würden, sehen wir Spiel-Angebote von „Anna“ gleich auf mehreren Ebenen, die ein aufmerksam zuhörender Spieler sofort erkennt:
•Die Sprech-Ebene: Wir hören, die Sprache ist etwas altertümlich („Bube“, „göttlich Recht“).
•Die stilistische Ebene: Uns werden fünfhebige Jamben als Versmaß angeboten. Das heißt, dass wir uns wahrscheinlich in einem klassischen Drama befinden. Hier in Alltagssprache zu antworten, wäre ein krasser Bruch.
•Die Ebene des inhaltlichen Spiels: Anna verflucht ihr Gegenüber. Wenn dies die ersten Zeilen der Szene wären, hätte der Gloster-Spieler noch eine ganze Reihe von Optionen. Er könnte zum Beispiel zurückfluchen, er könnte sie verspotten oder bestrafen. In der konkreten Szene aber versucht er, die Schuld von sich zu weisen und Anna Komplimente zu machen. Da „Anna“ ebenfalls zuhört, ergibt sich ab ihrem nächsten Satz das Spiel, das von beiden fortgeführt wird.
Wenn wir gut zuhören und unser inneres spielendes Kind freisetzen, gelingt es uns nicht nur, ein...