Aus einem Brief an einen Schauspieler
Quelle 12
von Bertolt Brecht
Erschienen in: Lektionen 3: Schauspielen Theorie (12/2010)
Assoziationen: Schauspiel Theatergeschichte
Viele meiner Äußerungen über das Theater werden, wie ich sehen muß, mißverstanden. Besonders aus zustimmenden Briefen oder Artikeln sehe ich das. Es ist mir dann zumute, wie es einem Mathematiker zumute wäre, wenn er läse: Ich bin mit Ihnen ganz einverstanden, daß zwei mal zwei fünf ist. Ich glaube, gewisse Äußerungen werden mißverstanden, weil ich Wichtiges vorausgesetzt habe, statt es zu formulieren.
Die meisten dieser Äußerungen, wenn nicht alle, sind als Bemerkungen zu meinen Stücken geschrieben, damit die Stücke richtig aufgeführt würden. Das gibt ihnen einen etwas trockenen, handwerklichen Ton, als schreibe ein Bildhauer, wie man seine Plastik aufstellen solle, auf was für einem Platz, auf was für einem Sockel – eine kühle Anweisung. Die Adressaten erwarteten vielleicht etwas über den Geist, in dem die Plastik gebildet wurde: aus der Anweisung müssen sie mühsam darauf schließen.
Da ist zum Beispiel die Beschreibung des Artistischen. Natürlich kommt die Kunst ohne das Künstlerische nicht aus, und es ist wichtig zu beschreiben, „wie es gemacht wird“. Besonders wenn die Künste durch anderthalb Jahrzehnte der Barbarei gegangen sind, wie bei uns. Aber man darf keinesfalls glauben, daß es etwa „kalt“ zu erlernen oder auszuüben wäre. Nicht einmal das Sprechenlernen, das für die meisten unserer...