Es ist, als ob Europa Fuld kurz davor wäre, vor Begierde zu explodieren. Ihre Gefühle und ihr Begehren lassen sich kaum noch kontrollieren. Ihr Innerstes droht zu bersten, also kauert sie sich ganz fest zusammen. Der Körper wird zu einem Bollwerk, das dem in ihr tobenden Sturm der Leidenschaften standhält. Lilith Stangenberg ist in diesen Momenten, in denen die Millionenerbin Europa mit sich ringt, kaum zu sehen. Sie versteckt sich hinter dem Bar-Tresen auf der linken Seite von Aleksandar Denić’ Monumentalbühne, die dem Spiegelsaal von Clärchens Ballhaus in Berlin nachempfunden ist. Die Kamera rückt ihr zwar auf den zusammengekrümmten Leib. Aber sie entzieht sich deren Blick wie dem des Publikums. Dem bleibt nichts anderes übrig, als sich auf ihren Monolog zu konzentrieren. Und der sprudelt nur so aus „Eura“ heraus.
Die hochexpressiven Sätze, mit denen Carl Sternheim in seinem einzigen Roman „Europa“ vom sexuellen und politischen Erwachen seiner Titelheldin erzählt, sprengen die Grenzen der Sprache und des bürgerlichen Denkens. Jeder dieser Sätze wird zu einer Waffe, mit der Lilith Stangenberg die starre Ordnung des europäischen Kontinents attackiert. In Sternheims Roman zielten sie auf das sich an Nationalismus und Kriegstreiberei berauschende Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs. In Frank Castorfs Sternheim-Mash-up...