Magazin
Von Hamlet zum Kotelett: „Schnitzel Seitenbühne links“
Das Buch versammelt Rezepte und Anekdoten rund ums Essen auf der Bühne
von Stefan Keim
Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)
Assoziationen: Buchrezensionen
Babette hat im Lotto gewonnen. Die Meisterköchin gibt das gesamte Geld – immerhin 10.000 Francs – für ein Festessen aus. Sie will sich dafür bedanken, dass sie nach ihrer Flucht herzlich aufgenommen wurde. Tania Blixens Novelle „Babettes Gastmahl“ hat das Tübinger Zimmertheater vor 20 Jahren auf die Bühne gebracht. Das Publikum stellte Babettes Gäste dar und durfte mitessen. Das bedeutete für den Partner des Theaters, das Hotel Krone, 50 viergängige Menüs auf den Punkt zu servieren. Menüs der Spitzenklasse, denn das Essen musste ebenso glaubwürdig sein wie das Ensemble.
Die Dramaturgin und Regisseurin Vera Sturm erinnert sich an diese Aufführung im Buch „Schnitzel Seitenbühne links“. Der Menüplan ist abgedruckt: Mockturtlesuppe, Blinis Demidoff, Cailles en Sarcophage und frische Früchte zum Dessert. Dazu der Einsatzplan des Personals, damit der Klecks Kaviar zum rechten Zeitpunkt auf die warmen Blinis kommt. Das von Emilia Nagy zusammengestellte und herausgegebene Buch ist mehr als ein Appetitanreger. Es bringt einen schon beim Lesen zum Sabbern, der Magen hüpft vor gieriger Erwartung.
Schauspieler:innen, Regisseur:innen und vor allem auch Requisiteur:innen erzählen ihre Geschichten und liefern oft die Rezepte dazu. Das Buch ist wie ein Menü aufgebaut. Vom Vorspiel – oder dem Gruß aus der Küche – über Suppe, Gemüse, Fischgang und Fleischgericht bis hin zum Dessert-Epilog. Wobei ein „würdevoller Abgang mit Null- und Hochprozentigem“ nicht fehlen darf. Sylvie Rohrer schwärmt von Artischocken, Markus Meyer serviert Minestrone und Peter Simonischek Maccaroni con ragú. Sven-Eric Bechtolf allerdings stört die Hingabe an den Genuss. Er reimt ganz asketisch: „Mümmelnd Schiller zu zitieren, wird kein Mime gern riskieren.“ Und kommt zum Schluss: „Fragt man mich, was sprechbar sei, rat’ ich zu Kartoffelbrei.“
Wenn Herr Bechtolf nun im Buch 38 Seiten voranblättert, findet er eine Gruselgeschichte, zugegeben nicht über Kartoffelbrei, sondern über Erdäpfelsalat. Petra Morzé berichtet, wie sich bei einer Premiere im Wiener Akademietheater das gesamte Ensemble nach dem inszenatorisch vorgeschriebenen Genuss des Gerichtes in den Gassen, aus den Fenstern des Bühnenbildes oder wohin es immer möglich war, in eilends herbeigestellte Kübel erbrach. Und Herausgeberin Emilia Nagy ergänzt, „Die diensthabende Ärztin war ich.“ Die überwältigende Wirkung des Bühnenessens kam daher, dass die Kartoffeln auf Schneidbrettern zubereitet worden waren, auf denen vorher rohe Hühner gelegen hatten. „… Und schon kann völlig ungebremst der irre Salmonellenreigen beginnen.“
Viele Theaterfans – auch der Autor dieser Zeilen – denken beim Stichwort Essen auf der Bühne sofort an die Brandteigkrapfen aus „Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Bernhard. Die Brandteigkrapfen, die seine Schwester gebacken hat, aus Liebe und Machtgelüsten, die Gert Voss als Bruder Ludwig herunterwürgt und hinausspuckt, bis sein Kopf zu platzen droht. Eine unvergessliche Szene. Voss hasste Süßigkeiten, verrät seine Tochter Grischka, und veröffentlicht doch das Rezept.
„Schnitzel Seitenbühne links“ ist ein enorm vergnügliches und anregendes Buch, dessen Titelgericht natürlich eine große Rolle spielt. Der Dramaturg und Regisseur Hermann Beil spielt seit Jahren mit Claus Peymann Bernhards Dramolett „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“. Darin befindet sich häufig die Regieanweisung „beißt in sein Schnitzel“, was beide streng befolgen. Beils Schnitzel ist im Lauf der vielen Aufführungen immer größer geworden, sodass es schon einen Lacher gibt, wenn Beil den riesigen Fleischlappen aus der Tasche zieht.
„Schnitzel Seitenbühne links“, hrsg. von Emilia Nagy, Braumüller Verlag Wien, 208 S., € 36