Vom Gesetzgeber verkannte Performativität von Aufführungen?
Erschienen in: Recherchen 168: Der urheberrechtliche Schutz performativer Kunst – Theater, Aktion, Performance (09/2023)
Die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung ist allgemein anerkannt. Begründet wird sie damit, dass sich die Gerichte nicht weigern dürfen, Recht zu sprechen, denn auch diejenigen Situationen sind einer (gerechten) Lösung zuzuführen, die gesetzlich nicht geregelt sind, das heißt, die Gerichte sind zur Rechtsgewährung verpflichtet.421 Entsprechend handelt es sich bei der Rechtsfortbildung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine notwendige Funktion der Justiz.422 Dabei sind die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung zu beachten: Eine Lücke kann nur angenommen werden, wenn eine »planwidrige Unvollständigkeit« des Gesetzes vorliegt. Maßstab für die Feststellung dieser Unvollständigkeit wie auch der Lückenfüllung ist in erster Linie das Gesetz selbst, hier also das Urheberrechtsgesetz. Wenn diesem unmittelbar kein Wertungsplan entnommen werden kann, stellt sich die Frage, ob sich ein solcher aus der Gesamtrechtsordnung, insbesondere aus höherrangigem Recht wie dem Verfassungsrecht, ergibt (intra ius), hier also der Wertung, dass Aktions- und Performancekunst in ihrer besonderen Eigenart urheberrechtlichen Schutz genießen. Eine Rechtsfortbildung darf dabei nie den »klar erkennbaren Willen«423 des Gesetzgebers umdeuten. Zudem ist aufgrund der Gesetzesbindung der Gerichte grundsätzlich davon auszugehen, dass der ursprüngliche Normzweck im Anwendungszeitpunkt fortgilt. Dies gilt es hier zu prüfen: Hat der Gesetzgeber auch den urheberrechtlichen Schutz von Aktions- und Performancekunst bewertet, als...