Kommentar
Der Müll, der Mensch und das Marketing
Die Stadt Krefeld bekommt für ihren Theaterplatz den OPER! Award als Ärgernis des Jahres
von Stefan Keim
Assoziationen: Musiktheater Nordrhein-Westfalen Theater Krefeld und Mönchengladbach

Content-Note: Klassistische Äußerungen
Aufregung in Krefeld: Bei der Verleihung der OPER! Awards bekam die Stadt die Anti-Auszeichnung „Ärgernis des Jahres“. Grund ist der seit vielen Jahren verwahrloste Theaterplatz. Die Stadt verweist darauf, dass sie Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Die Jury bleibt bei ihren Argumenten und sagt, Krefeld wolle mit dem Protest nur von eigenen Fehlern ablenken.
Erstmal ein Blick auf die Fakten: Das Theater Krefeld hat wirklich ein riesiges Problem. Seit Jahren ist der Theaterplatz ein Treffpunkt von Drogendealern und Obdachlosen. Beim Weg zur Vorstellung prallen verschiedene Welte aufeinander. Die Beschäftigten des Theaters haben ebenso für eine sozialgerechte Lösung protestiert wie die Theaterleitung, jahrelang passierte nichts. Nebenher hat das Zwei-Städte-Theater Krefeld-Mönchengladbach an seiner zweiten Spielstätte ein fast noch größeres Problem. Da ist eine aufgegebene Parkgarage die einzige Möglichkeit, sein Auto abzustellen. Wer den normalen Weg hinaus nehmen will, steht im Treppenhaus zwischen fleckigen Matratzen. Hier wohnen Menschen unter erbärmlichen Umständen, der städtische und vor allem politische Umgang damit ist eine Schande. Als ich letztens dort war, um die Aufführung „Revolution“ anzuschauen, erinnerte die Szene an Bilder aus einem Zombiefilm.
„Da flirten die OPER! Awards hemmungslos mit dem Vokabular der Rechtspopulisten“
Am Niederrhein liegen also Bronx und Bühne nahe beieinander, an wenigen Orten kann man so übergangslos Rossini hören und Crack kaufen. Darauf hinzuweisen ist das gute Recht – vielleicht sogar die Pflicht – einer Preisjury. Nun irritiert aber die Wortwahl: „Schleichend abgehakt und dem Verfall preisgegeben wird aber mit dem modernen Inferno des sozial produzierten Menschenmülls zugleich ein Stück Kultur.“ „Menschenmüll“ – das ist noch ein bisschen mehr als der Paschavergleich von Friedrich Merz, da flirten die OPER! Awards hemmungslos mit dem Vokabular der Rechtspopulisten.
Warum eigentlich? Nur weil sich da ein Wutschreiberling an den eigenen Formulierungsgelüsten ergötzt? Ich glaube, es steckt etwas anderes dahinter.
Die OPER! Awards gibt es noch nicht lange. Damit will sich eine neue Zeitschrift am Markt profilieren, an der erfahrene und ausgezeichnete Opernfachleute mitarbeiten. Das ist natürlich nicht unehrenhaft, in NRW hat es viele Jahre lang die Hobbyzeitschrift „Theater pur“ geschafft, mit einer in den Sommerferien veröffentlichten Kritiker:innenumfrage in die Nachrichten zu kommen. Die OPER! Awards werden – das ist ihr Alleinstellungsmerkmal – im Rahmen einer Gala öffentlich verliehen.
In diesem Jahr fand diese Gala in der Oper Dortmund statt, weil diese Bühne auch den Hauptpreis bekam. Als bestes Opernhaus des Jahres 2022, nicht in Deutschland, sondern international, wie die Jury betont. Allerdings kommen die ausgezeichneten Opernhäuser fast ausschließlich aus Deutschland, der Schweiz und Italien, also dem Teil der Welt, der auf den gewohnten Reiserouten der Kritiker:innen liegt. Was dieser Preis eigentlich bedeutet und wie er zustande kommt, hinterfragt kaum jemand. Die Nachricht ist gut vermittelbar und einfach, alle Medien berichten.
„Es ist völlig okay, dass sich eine neue Zeitschrift über so eine Preisverleihung profiliert. [...] Doch das sollte auf keinen Fall zu einer Verrohung von Sprache und Klassismus vom Feinsten führen. “
Da ist es marketingtechnisch perfekt, ein paar Tage später noch einen Aufreger nachzuschieben. Dafür muss eine krasse Formulierung her, die ein paar Leute richtig zum Schäumen bringt. Deshalb der Griff zum Jargon der Rechtsradikalen. Geschmacklos, aber wirkungsvoll. Denn zumindest in NRW waren in den Kultursendungen und Zeitungen tagelang die OPER! Awards erneut in aller Munde.
Wie gesagt, es ist völlig okay, dass sich eine neue Zeitschrift über so eine Preisverleihung profiliert. Ich finde es nur lächerlich, wie sich Medien und Marketingabteilungen darauf stürzen. Als ob die Relevanz von Theater davon abhinge. Schon die traditionellen Kritiker:innenumfragen sollten aus meiner Sicht als nettes Spiel gewertet werden. Da kann man mal ein paar Menschen oder Aufführungen herausstellen, die das aus eigener, subjektiver Sicht verdient haben. Oder sich auch mal über einen Missstand aufregen. Doch das sollte auf keinen Fall zu einer Verrohung von Sprache und Klassismus vom Feinsten führen.
„Auch negative Publicity bedeutet Aufmerksamkeit. “
Wie eng bei diesem Preis Jury und Marketingabteilungen Hand in Hand arbeiten, zeigt ein Blick ins Programmheft. Seitengroße Anzeigen der Berliner Philharmoniker und der Deutschen Oper Berlin finden sich direkt neben den kleinen Artikeln, in denen diesen Institutionen oder dort arbeitenden Künstler:innen Preise zugesprochen werden. Auch der ebenfalls ausgezeichnete Slowakische Philharmonische Chor ist mit einer ganzseitigen Anzeige dabei.
Damit will ich nicht andeuten, dass man sich die OPER!Awards kaufen kann. Dafür sind die teilnehmenden Kritiker:innen zu seriös. Und es haben auch Opernhäuser Preise bekommen, die keine Anzeigen geschaltet haben. Aber das selbstgefällige Getrommel erscheint mir angesichts der engen ökonomischen Verflechtungen übertrieben. Auf Kritik am nun wirklich ekelhaften Sprachduktus den Theaterplatz in Krefeld betreffend, reagiert die Jury uneinsichtig. Wenn ich mir allerdings anschaue, wie oft ich jetzt hier OPER! Awards geschrieben habe, bin ich ebenfalls auf die Manipulation reingefallen. Denn auch negative Publicity bedeutet Aufmerksamkeit. Man kommt aus diesem System nicht raus. Gäbe es einen ZYNISMUS! Award, wäre dieser Theaterpreis jedenfalls ein heißer Kandidat.
Erschienen am 14.3.2023