Hessisches Landestheater Marburg: Ein Computerspiel auf der Bühne
„Let‘s play Monkey Island“ nach einer Idee von Ron Gilbert – Regie, Bühne & Kostüme Nathalie Glasow, Video & Animation Bernardo Stefano
Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Hessisches Landestheater Marburg

Dass Hollywoodfilme beworben werden, indem ein irgendwie verschwippschwägertes Computerspiel gleichen Namens auf den Markt geworfen wird, ist nicht unbedingt der neueste Einfall aus der Welt des Marketings. Und auch andersherum finden seit Jahren bereits so viele Videospiele den Weg auf die Kinoleinwand, dass sich über den Ursprung dieser Adaptionsidee längst der gnädige Nebel des Vergessens gelegt hat. Erinnert sich noch jemand an den Film „Super Mario Bros.“ aus dem Jahr 1993? Genau.
Da ist es geradezu erstaunlich, dass die Genregrenze zwischen dem Spiel auf dem Bildschirm und dem Spiel auf der Bühne bislang noch fast nie überwunden wurde. Nathalie Glasow hat das am Hessischen Landestheater in Marburg jetzt getan und aus dem Gamingklassiker „Monkey Island“ ein Theaterstück gemacht. Nicht als allererste, zugegeben: Eine Schultheatergruppe in den USA, weiß Wikipedia, brachte den ersten Teil der mittlerweile sechsteiligen Spieleserie 2005 auf die Bühne. Und 2014 nahm sich die freie Theatergruppe Kulturreederei in Halle an der Saale der Abenteuer an, die der Möchtegernpirat Guy Threepwood in dem von Ron Gilbert erfundenen Adventuregame zu bestehen hat.
Was Glasow, Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildnerin zugleich, nun in Marburg zeigt, ist aber nicht nur so grellbunt, turbulent und offensiv albern wie das Spieleoriginal. Sondern auch interaktiv. Schon im Foyer können die Besucher:innen Rätselaufgaben lösen und es erteilt ihnen Guy Threepwood via Bildschirm erste Anweisungen. Christian Simon spielt diesen jugendlichen Helden, der so gerne Pirat werden will, mit viel charmanter Stoffeligkeit und ohne jede Scheu, sich auf der Suche nach der geheimnisvollen Karibikinsel Monkey Island zum, hihi, Affen zu machen.
Die Handlung folgt dem ersten Teil der Spieleserie, der unter dem Titel „The Secret of Monkey Island“ 1990 erschien. Da hießen Computer noch Atari oder Amiga, und in den Rezensionen wurde bekrittelt, dass man bei der Reise nach Monkey Island so häufig die Disketten wechseln müsse. Zu referieren, was Guy Threepwood alles an Wunderlichkeiten erlebt, bis er den Geisterpiraten LeChuck am Ende mit Malzbier besiegen und seine Angebetete, die Gouverneurin Elaine, befreien kann (wobei die eigentlich gar nicht befreit werden muss), das würde hier zu weit führen. Ohnehin ist bei einem Adventure-Game ja eher der Weg das Ziel: Räume wollen erkundet, Gegenstände eingesammelt, Rätsel gelöst, Aufgaben gemeistert, Hindernisse überwunden werden. Ohne Gewalt, das hat „Monkey Island“ immer ausgezeichnet, dafür mit Hirn, Witz und Schnauze.
Beim Fechten gewinnt, wer Beleidigungen am treffsichersten kontern kann, da muss in Marburg das Publikum helfen. Auf den Sitzen liegen Papptafeln mit möglichen Repliken, die man Guy Threepwood bei Bedarf zurufen kann. „Menschen fallen mir zu Füßen“, plustert sich einer seiner Gegner auf. „Auch bevor sie deinen Atem riechen?“, antwortet, entsprechend souffliert, der Nachwuchspirat. Volltreffer, versenkt. Auf der Rückseite tragen die bunten Papptafeln die Buchstaben A, B und C. Das Publikum wählt damit aus einem Auswahlmenü, das immer wieder auf der Leinwand im Bühnenhintergrund erscheint, was Guy Threepwood als nächstes tun oder sagen soll. Ob das wirklich den Fortgang des Geschehens beeinflusst, ist unklar, aber Spaß macht’s.
Saskia Boden-Dilling, Georg Santner und Silvia Schwinger mimen, unablässig auf offener Bühne die Kostüme wechselnd, das skurrile Personal, dem der Held auf seiner Jagd nach dem Geisterpiraten begegnet – vom grauenhaft gestikulierenden Gebrauchtschiffhändler Stan S. Stanman über ein Stichwortzettel anreichendes Äffchen bis zum Schiffbrüchigen Herman Toothrot, der zwar ein Schiff, aber dafür keine Hose hat. Gelegentlich zitieren Kostüme oder Bewegungen die noch etwas grobschlächtige Animation und Pixeligkeit des angejahrten Computerspiels, doch das bleibt stets liebevolle Hommage, wird nie aufdringlich.
Glasow lässt ihr Ensemble Klamotte spielen, harmlos, schnell und witzig. Und mit vielen hübschen kleinen Einfällen: Da sind die zänkischen Zirkusbrüder Fettuccini bloß Zwirbelbärte an Zeigefingern, da stockt die Handlung, weil sich das Spiel für einen Moment aufgehängt hat, da wird, wenn ein Kalauer allzu schmerzhaft gerät, offen über den Text gemault. Die vielen leeren Pappkartons, die neben Gummipalme, Aufblashai und Garderobenständern die Studiobühne bestücken, sind mal Gefängnis, mal Schatztruhe. Sie türmen sich zu Toren oder stehen einfach nur im Weg. Ein Raum zum Austoben.
Wer viel Zeit hat, kann sich bei Youtube ansehen, wie jemand „The Secret of Monkey Island“ am Computer durchspielt, gut fünf Stunden lang. In Marburg geht das schneller: Nach etwas mehr als anderthalb Stunden ist das finale Triumphfeuerwerk vorbei und auf der Leinwand im Hintergrund erscheint: „Das Spiel wird neu geladen. Wir bitten um etwas Geduld.“
Erschienen am 16.3.2023