Theater der Zeit

Dramatik im Gespräch

Das eigene Denken stimulieren

Lou Wei, Parteisekretär der Shanghaier Theaterakademie (STA), im Gespräch

von Lou Wei, Sabine Krappweis und Hans-Georg Knopp

Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: China (12/2015)

Assoziationen: Asien Akteure Dramatik

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Lou Wei, Sie sind Parteisekretär an der größten und ältesten Theaterakademie Chinas mit fast 4000 Studenten. Keine leichte Aufgabe. Zumal Sie etwas ganz anderes studiert haben, Sie kommen nicht aus dem Theater oder den Künsten.

Ja, das ist richtig. Zunächst studierte ich Ingenieurswissenschaften und danach, als Graduate, Biologie. Danach kam ich als Manager an die Shanghai University of Trade and Commerce und machte dort meine ersten Erfahrungen, wie man eine Universität managt. Ich sehe die Leitung einer Universität als Teil unseres Systems der Erziehung und der Kultur in China und natürlich auch als Teil des generellen Managementwissens. Als die Stadt Shanghai mich fragte, ob ich an die Theaterakademie gehen wollte, war ihre Begründung, dass gerade jemand, der zunächst einmal kein Insider ist, frisches, neues Denken in die Akademie bringen kann. Vor allem auch, weil ein Naturwissenschaftler in sehr strukturierten Formen des Denkens ausgebildet wird.

Gab es auch ein persönliches Interesse an Theater?

Oh ja, natürlich. Was ich an den Künsten so schätze, ist, dass sie Fantasie, Ideenreichtum und das eigene Denken stimulieren. Die Künste regen den Betrachter, den Zuschauer an, manchmal durch sehr einfache Formen, die in der Vorstellung des Zuschauers zu höchst komplexen Momenten werden können. Ich persönlich finde das insbesondere im Tanz, der anders ist als unser Theater, das präzise realistische Geschichten erzählt. Tanz gibt dem Zuschauer Möglichkeiten, sich eigene Gedanken zu machen. Und ich hoffe, dass unsere Lehrer diese Offenheit der Künste auch den Studenten weitergeben.

Die STA ist, verglichen etwa mit westlichen Ausbildungsstätten für die Künste, riesig. Es gibt die vier großen Abteilungen Drama, Xiqu (traditionelle Oper), Tanz und Film/ Medien. Das ist einzigartig für eine Theaterakademie, dass Studenten so interdisziplinär arbeiten können. Ist es schwierig, bei der Größe ein solches Ziel zu erreichen?

Für chinesische Verhältnisse ist die STA nicht groß. Wir sind eher konzentriert, so fördern wir die Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen. Es führt, wir können das deutlich sehen, zu ganz ausgezeichneten Resultaten, wenn die Abteilungen wirklich zusammenarbeiten. Ein Beispiel: Letztes Jahr hatten wir einen Kollegen aus Rensselaer im Bundesstaat New York hier, der sehr erstaunt darüber war und es beispielhaft fand, dass unsere Medienstudenten auch Tanz, Xiqu oder Drama belegen müssen. Das ist nicht immer leicht und führt auch zu Konflikten. Vor allem zu Konflikten hinsichtlich der räumlichen Möglichkeiten, wir sind noch zu beengt. Das wird sich bis 2017 ändern, wir bauen gerade einen neuen Campus, den vierten, und dann konzentriert sich jeder Campus auf sein Fach: also Drama, Xiqu, Tanz, Medien/Film. Trotzdem sind die Wege nicht so weit, jeder Campus ist innerhalb von 30 Minuten erreichbar, und es fahren regelmäßig eigene Busse. Ein anderes Problem, das mit der Größe zusammenhängt, ist die Betreuung der Studenten. Das Lehrer-Studenten-Verhältnis ist nicht so günstig, aber wir versuchen, das Problem durch verschiedene Maßnahmen zu lösen: etwa indem wir ältere Studenten ermuntern, mit den jüngeren zusammenzuarbeiten – das ist in China auch sonst üblich –, oder indem wir Künstler von außen einladen, die unterrichten und etwas aus ihren praktischen Erfahrungen vermitteln. Sie ergänzen die regulären Stellen. Die Qualität der Ausbildung ist gut, wenn nicht hervorragend, das zeigt sich beispielsweise daran, dass beim Tokyo International Film Festival oder bei der Berlinale Schauspieler ausgezeichnet wurden, die von unserer Akademie kommen.

Die STA arbeitet sehr intensiv international. Es gibt eine Reihe von Abkommen mit anderen westlichen Akademien und Universitäten, es gibt häufig internationale Veranstaltungen. Welchen Stellenwert haben diese internationalen Kooperationen?

Für die STA ist die internationale Zusammenarbeit unverzichtbar und ganz besonders wichtig. Wir müssen offen für andere sein, wir müssen wissen, welche Methoden, welche Spielweisen etc. es gibt, welche sich neu entwickeln. Wir nehmen damit auch die Tradition Shanghais auf, als einer offenen und internationalen Stadt. In gleicher Weise ist es für uns wichtig, dass Gäste ihre Erfahrungen mit der chinesischen Kultur machen, auch unsere Gäste können etwas lernen. So ist unsere Welt heute ein Geben und Nehmen über Grenzen hinweg. Diese internationale Zusammenarbeit habe ich auch persönlich gefördert, gerade jüngst haben wir das Internationale Theaterinstitut (ITI) an die STA eingeladen, und nun ist der Hauptsitz des ITI dauerhaft hier.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft?

Ich möchte die STA als eine der führenden Ausbildungsstätten innerhalb und außerhalb Chinas etablieren. Wir sollten bekannt sein als ein Ort der Innovation, als eine Akademie, die sich wirklich um die Belange der Studenten kümmert, damit diese dann auch Jobs finden, weil sie eine exzellente Ausbildung haben. Sicher, wir müssen zukünftig mehr Geld investieren, wir müssen aber ebenso innovatives Denken in alle Bereiche investieren. Wir haben diese Verantwortung gegenüber den Studenten und gegenüber der Gesellschaft. //

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