Theater der Zeit

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Auftritt

Salzburger Festspiele: Freier Fall ins Familienchaos

„Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl / Bühnenadaption von Jorinde Dröse und Johanna Vater – Regie Jorinde Dröse, Bühnenbild Katja Haß, Kostüme Juliane Kalkowski, Choreografie Suzan Demircan

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Jorinde Dröse Salzburger Festspiele Schauspiel Hannover Salzburger Landestheater

Nellie Fischer-Benson (Lola), Yasmin Mowafek (Alva), Hanh Mai Thi Tran (Sunny), Sophie Casna (Femme) in „Die Wut, die bleibt“ bei den Salzburger Festspielen 2023.
Nellie Fischer-Benson (Lola), Yasmin Mowafek (Alva), Hanh Mai Thi Tran (Sunny), Sophie Casna (Femme) in „Die Wut, die bleibt“ bei den Salzburger Festspielen 2023. Foto: SF/Kerstin Schomburg

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Die Frau steht auf, verlässt das gemeinsame Abendessen, geht auf den Balkon und stürzt sich in die Tiefe. Mit einem Suizid beginnt Mareike Fallwickls Bestseller „Die Wut, die bleibt.“ „Haben wir kein Salz?“ hat ihr Ehemann gefragt. Die Kinder schwiegen. Der Vater lässt sich gern bedienen. In seiner Stimme schwingt der Hass des Machtmenschen mit. So bringt die Frage, lapidar dahingesagt, das Fass zum Überlaufen. Den Erfolgsroman der 40-jährigen Autorin aus dem Salzburger Land hat Jorinde Dröse als Koproduktion der Festspiele mit dem Schauspiel Hannover für die Bühne adaptiert. Nach der Premiere im Landestheater hielt er die Zuschauer:innen nicht auf ihren Stühlen. Sie bejubelten die Produktion, die männliche Machtstrukturen offenlegt.

Wie in einem Brennglas offenbarte die Corona-Pandemie, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau für weite Teile der Gesellschaft eine Utopie geblieben ist. 2022 hat die Österreicherin ihren Roman veröffentlicht.  In Zeiten von Lockdowns, Isolation und Home Schooling waren es zu oft die Frauen, die sich um die Kinder kümmerten. Job, Haushalt und Familie parallel zu schaffen, da stießen viele Mütter an Grenzen. Mareike Fallwickls 372 Seiten starker Roman ist keine weinerliche Abrechnung mit der patriarchalischen Gesellschaft. „Die Wut, die bleibt“ zeigt das Aufbegehren einer neuen Generation junger Frauen, die den wirkungslosen Phrasen des Feminismus nichts mehr abgewinnen können.

So vielschichtig und schroff wie der Roman ist Dröses Bühnenfassung, die sie mit der Dramaturgin Johanna Vater geschrieben hast. In der Rolle der Helene, die als einzigen Ausweg aus dem Gefängnis Familie den Suizid sieht, ist Johanna Bantzer stark. Klug legt die Schauspielerin die Motive ihrer Figur offen. Bantzer lässt die Ehe Revue passieren, in der die Liebe Tag für Tag etwas mehr gestorben ist. Für den Mann und die Kinder, da war am wichtigsten, dass Mama die Waschmaschine zum Laufen bringt. In Katja Haß‘ offenem Bühnengerüst bleibt sie auch nach dem Tod präsent. Sie lenkt den Blick auf die Ingaranz ihres Mannes und der Kinder. Diese Kälte trieb sie in den Tod. Das Raumkonzept passt sich nicht nur der dynamischen Dramaturgie an. Mit blutrotem Licht spiegelt die Szenografin die Hölle, in der die Familie nach dem Tod Helenes fällt.

Statt seine eigene Schuld zu hinterfragen, geht für Johannes das Leben weiter. Max Landgrebe stattet den Vater mit einer Arroganz aus, die verstört. Er macht seinen Job, plant Business. Diesen Mechanismus bringt Fallwickl im Roman knallhart auf den Punkt: „Tatsächlich füllt ja Helenes Freundin Sarah sehr schnell diese Lücke: Sie zieht bei der Familie ein, um übergangsweise die Kinder zu versorgen. Dabei hat sie selbst keine Kinder. Alle erwarten, dass sie weiß, was zu tun ist, weil sie eine Frau ist.“

Anja Herden lässt ihre Sarah im freien Fall ins Chaos gleiten. Statt sich zu wehren, kocht und putzt sie genau so, wie es die Mutter früher getan hat. Was diese Rolle mit ihr als Mensch macht, legt die Schauspielerin in schönen, doch zugleich verstörenden Momenten offen. Hilflos steht sie auch der Bühne, spricht davon, wie ihr der Beruf entgleitet. Kinder und Küche lassen für die Kreativität der Autorin keinen Platz mehr.  Obwohl sich die erfolgreiche Frau nicht ins Familienkorsett zwingen ließ, findet sie sofort ihren Platz hinter dem Herd, wenn die Männergesellschaft das von ihr fordert. Diese Selbstauflösung erschüttert.

So viel Schwäche macht Lola, die älteste Tochter, wütend. Mit ihrer Mädchen-Gang rächt sie sich an den Männern, die Frauen ausbeuten. Nellie Fischer-Benson peitscht ihre Figur ebenfalls in Extreme. Mit Wollmütze und Faltenrock weist Kostümbildnerin Juliane Kalkowski ihr den Platz in der modernen Jugendkultur der Generation Z zu. Dieser Zeitgeist zieht sich wie ein roter Faden durch das Konzept der Ausstatterinnen. Zornig begehrt die Heranwachsende gegen die Erwachsenen auf. Was die Generation der feministischen Mütter in Haushalten und Betrieben mit Überzeugungskraft geschafft haben, holen sich kämpferischen  jungen Frauen mit Gewalt. Mit stierem Blick mutiert die Kindfrau mit der rosaroten Mütze zum Monster, wenn sie Männer auf der Straße überfällt. In den Kampfszenen, die Suzan Demircan schnörkellos und bildgewaltig choreografiert hat, entlädt sich der Hass junger Menschen, deren Zukunftsangst sie innerlich zerfrisst.

Mit der komplexen Bühnenadaption von „Die Wut, die bleibt“ treffen Jorinde Dröse und Johanna Vater den Nerv der Zeit. Anhand der drei unterschiedlichen Lebensentwürfe der Mutter Helene, der Autorin Sarah und der Schülerin Lola entwickeln sie mit dem Ensemble Porträts, die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen, was es heute bedeutet, Frau zu sein. Die politische Botschaft steht in Mareike Fallwickls Roman ebenso wenig im Fokus wie in der Inszenierung. Jorinde Dröse lenkt den Blick auf die psychologische Seite der Selbstausbeutung, die Frauen die Möglichkeit zur Entwicklung nimmt. 

Erschienen am 22.8.2023

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