Magazin
Spur der Stimmen
Heiner Goebbels: A House of Call. My imaginary Notebook. Neofelis, Berlin 2021, 140 S., 9 EUR.
Erschienen in: Theater der Zeit: Angst und Widerstand – Thema Afghanistan (10/2021)
„Le Grain de la Voix / Die Rauheit der Stimme.“ Es mag der alte Trickser Zufall gewesen sein, dass in Heiner Goebbels’ vor Kurzem im Neofelis Verlag erschienenen Materialband „A House of Call“, welcher sein gleichnamiges Konzert beim Musikfest Berlin begleitete, dieser für ihn so programmatische Text von Roland Barthes ausgerechnet auf Seite 69 steht. Am 17. August feierte der Komponist seinen 69. Geburtstag, auf den wenige Tage später eben jene Uraufführung folgte, die in rund zwei Stunden Länge das Herzstück seines jahrzehntelangen Schaffens thematisiert: die Beschäftigung mit der menschlichen Stimme. Oder besser gesagt: mit Stimmen, dezidiert im Plural gedacht.
Die akademisierten, an Hochschulen ausgebildeten Sing- und Sprechstimmen waren ihm dabei in der Regel suspekt. Deren ästhetisches Ideal, schreibt Goebbels im Materialband, bestehe ja darin, das Eigene einer Stimme eher zu nehmen – zugunsten klassischer Ausdrucksregister, die für eine virtuose Verfügbarkeit normiert seien. Sein Interesse galt stattdessen der Eigentümlichkeit von Stimmen: dem „Flüstern, Zögern, Lachen und Seufzen, Räuspern und Ächzen am Rande des Geräuschs“, der gebrochenen oder der Fistelstimme, dem unverwechselbaren Akzent oder dem jähen, unwiederholbaren Ausdruck. Er suchte die Eigenheit eines Sprechers oder Sängers, die „leibliche Spur“, nicht das normierte Ideal.
Mit dieser „vielleicht unbewussten gemeinsamen Formel“ all seiner...