Gespräch
I do you!
Die Künstlerin Monica Bonvicini verwandelt die Neue Nationalgalerie in einen Ort der Reflexionen über Architektur und Macht, Begehren und Sublimation – als Dialog mit Berlin Im Gespräch mit Heimo Lattner
von Monica Bonvicini und Heimo Lattner
Erschienen in: Theater der Zeit: Neue Dramatik (03/2023)
Assoziationen: Akteure

Monica Bonvicini, vor Ihnen wurde erst fünf Künstlerinnen eine Einzelausstellung in der Neuen Nationalgalerie gewidmet.
Es fühlt sich auch ein wenig wie eine Hausbesetzung an. Es gab den Wunsch nach einer Retrospektive. In diesem Haus schien mir das aber unmöglich. Ich habe also getan, was ich am liebsten mache, nämlich installativ mit der Architektur und dem Ort umzugehen. Für den Außenbereich habe ich eine Klanginstallation entwickelt, „Retrospective“, für die alle Titel meiner Arbeiten eingesprochen wurden. Knapp 2000. So viel zur Retrospektive. (lacht)
Das Gebäude wurde gerade sechs Jahre lang aufwendig saniert.
Es wurde in dieser Zeit viel über die Renovierungskosten und die Bedeutung des Hauses für Berlin gesprochen. Dabei schien man vergessen zu haben, dass es sich um einen Ort für die Kunst handelt. Die Frage, die sich stellt, ist, welche Rolle die Kultur spielt und wie die Politik mit unseren Kulturstätten umgeht. Es ist in der Regel einfacher, Geld für den Bau eines Museums zu finden, als es dann zu bespielen. Die Neue Nationalgalerie ist personell total unterbesetzt. Mies van der Rohe sah die Aufgabe eines Museums darin, Menschen zusammenzubringen. Das Kulturforum ist von seiner Umgebung heute isoliert. Die Neue Nationalgalerie thront dort wie ein Tempel auf einem Sockel. Ich wollte, dass das Gebäude zur Stadt spricht.
Sie beschäftigen sich mit Sprache. An der Fassade geben Sie die Parole aus: „I do you!“. Im Anschnitt ist eine eckige Klammer zu erkennen, eine Akkolade. Accolade bedeutet im Französischen „feierliche Umarmung“. In der Typografie steht sie für eine Auslassung.
Es ist auch das Fragment eines Satzes der Autorin Diane Williams. „I don’t like you very much, and I don’t think you are fascinating ... .“ Das Original tut nichts zur Sache. Es ist ein Fragment von vielen, die sich in der Ausstellung zusammenfügen. Es ist ein Schrei in die Stadt hinein. Vielleicht etwas gemein, aber mit einem Augenzwinkern. Es hängt davon ab, was man verstehen kann oder möchte. Die wörtliche Übersetzung wäre: „Ich mache dich!“. Aber wer macht hier wen? Das Museum die Stadt? Die Besucher:innen das Museum? Als wir den Spiegel mit dem Schriftzug an der Fassade installiert haben, hatten wir noch gar keine Genehmigung dafür. Die Denkmalbehörde war strikt dagegen. Jetzt stehen alle davor und machen tolle Fotos.
In die Haupthalle haben Sie eine 36 Meter breite Spiegelwand eingezogen. Sie ist Bestandteil der Arbeit „Upper Floor“, ein monumentales Podest, das die Besucher:innen betreten können. Unter der Last der Menschen auf der Empore gerät der Spiegel sanft in Schwingung und die Ideologie des rechten Winkels verkrümmt sich im Spiegelbild zum lakonischen Kommentar ihrer selbst.
Tatsächlich gibt es Leute, die zu dieser Architektur ein rein mathematisches Wissen, eine fast schon devote Beziehung haben. Die fehlt mir komplett. Der Spiegel produziert visuelles Rauschen. Geometrie und Raster definieren das Gebäude, aber mein Handeln stellt keine Rebellion gegen Mies van der Rohe dar. Warum auch, er ist ja tot! Es geht mir darum, die Architektur anders zu sehen und sozial umzudeuten.
Die Akustik verstärkt das Gefühl der Desorientierung zusätzlich.
Die Akustik des Raums ist schwierig, bietet aber tolle Möglichkeiten. Neben „Retrospective“ sind der Sound der Videoinstallation „Hausfrau Swinging“ und das Klirren von Ketten zu hören, das von der interaktiven Installation „You to Me“ herrührt. Edelstahlketten mit Handschellen, die entlang dreier Fensterfronten von der Decke hängen.
Auf Ihrem Foto der Alten Nationalgalerie aus dem Jahr 1998 ist die Inschrift „Der Deutschen Kunst“ zu lesen. Davor haben Sie zwei Tonnen Schutt abgeladen. „Volk“ und „Nation“ sind Begriffe, die sich über Ausschlüsse definieren.
Berlin hat sich damals sehr verändert. Überall wurden Fassaden errichtet, und was zu sehr nach DDR aussah, musste der neuen Identität weichen. Man hat mir nahegelegt, es nicht zu sagen, aber Berlin war damals viel deutscher als heute. Und diese Inschrift hat schon sehr für Irritation gesorgt. Die zwei Tonnen Bauschutt des Stüler-Baus sind der Kommentar einer nicht-deutschen Künstlerin. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, als ich die Neue Nationalgalerie nach der Sanierung gesehen habe, war: Was mache ich mit dieser Transparenz? Das Gebäude ist jetzt viel transparenter. Vor fünfzig Jahren gab es dieses weiße Glas nicht, das neu eingesetzt wurde. Wie geht man mit dieser Transparenz um?
Man zieht zum Beispiel eine zweite Etage ein.
Die Architektur ist hoch, offen und durchsichtig. Selbst bewegt man sich aber immer auf demselben Level. Ich wollte einen anderen Blick und zugleich mir eine eigene Ausstellungsfläche schaffen. Die Plattform ist drei Meter hoch und man nimmt von dort oben die Geometrie des Raums und den eigenen Körper anders wahr. Auch die Designerhäuser vor dem Fenster wirken plötzlich so traurig. Als Künstler:in ist man nicht dazu verdammt, bloß Objekte anzufertigen. (lacht)
Vor einer weiteren Spiegelwand mit Zitaten berühmter Architekten kann man sich an besagten Handschellen anketten lassen. Dahinter öffnet sich eine Art Hinterbühne. Man sieht den Unterbau des Podests, gefertigt aus gebrauchten Gerüstelementen, teilweise mit Originalfenstern verkleidet. Daneben, in poliertem Edelstahl, der Schriftzug „Desire“, davor ein Knäul gefälschter Casio-Armbanduhren, „Time of My Life“, das nie die richtige Zeit anzeigt.
Die Fenster sollten entsorgt werden. Ich wurde gefragt, ob ich welche haben möchte. Ich mag sie, weil sie so schön dreckig sind. Da klebt auch noch das Silikon dran, das sie in der Struktur gehalten hat. Und die Kanten sind nicht so präzise geschnitten wie heute, maschinell. Es ist eine Archäologie der Materialien, die ich hier betrieben habe, was viel mit Bildhauerei zu tun hat. Und es schließt sich auch der Kreis zum Schutt von der Fassade der Alten Nationalgalerie.
Über eine Wendeltreppe – noch ein verschmitzter Kommentar zum rechten Winkel? – gelangt man auf den „Upper Floor“. Ein schickes Loft. Beschützt vor den Spiegeln schaukeln Menschen in Hängematten. Andere liegen auf dem Boden. Tolles Licht, gutes Mobiliar, viel Glas und Ausblick. Nahezu eine Idylle.
Wenn man ankommt, überrascht vielleicht zuerst der bunte Teppichboden, weil er die kalte schwarz-graue Geometrie des Gebäudes aufbricht. Aber an ein Loft habe ich nicht gedacht. Es ist ein Kunstwerk. So wie die Stühle und die Schaukeln auch. Und die Lampen sind Skulpturen. Aber es gibt die Einladung zum Verweilen, klar. Dabei blickt man auf die Stadt. Vor allem abends, wenn man Richtung Potsdamer Platz schaut, hat man das Gefühl, in einer Großstadt zu sein. Das hat man in Berlin sonst eher selten.
Die Fallhöhe ist beträchtlich. Vom Potsdamer Platz winken nämlich Sony, Mercedes und die Deutsche Bank herüber. Es hat sich schnell ausgeträumt in der Bauhausbude!
Nur, wer hat die Macht, etwas zu verändern?
How to fuck back?
Noch ein Detail: Weil die Ebene 500 Quadratmeter groß ist, sind zwei Auf- bzw. Abgänge vorgeschrieben. Neben der Spindeltreppe gibt es also noch eine zweite Treppe, die Skulptur „SCALE OF THINGS (to come)“. Sie ist eine Mischung aus Barock und Minimalismus, gefertigt aus drei Tonnen Stahlrohr und Ketten. Einen Fahrstuhl gibt es auch. In Kombination mit dem Baugerüst bekommt die Treppe eine ungewöhnliche Schönheit. Wie die Stadt da draußen mit ihren Veränderungen und was eben damit einhergeht.
Letzte Frage: Humor?
Was wären wir ohne!