Theater der Zeit

Stephan Märki

Intendant im Weimarer Kontinuum

von Thomas Schmidt und Sophie-Thérèse Krempl

Erschienen in: Wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen – Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar Intendanz Stephan Märki (06/2012)

Assoziationen: Thüringen Akteure Stephan Märki Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Weimar

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Das vorliegende Buch dokumentiert die zwölfjährige Intendanz Stephan Märkis am Deutschen Nationaltheater und der Staatskapelle Weimar auf sehr unterschiedlichen Wegen: Er versammelt die Erinnerungen der Gefährten und Begleiter, lässt noch einmal – bei Weitem nicht alle, aber viele – helle Momente des Theaters aufblitzen und gibt mit ausgewählten Fotografien wichtiger Inszenierungen Einblicke in eine lange künstlerische Schaffensphase. Es ringt dabei nicht um Vollständigkeit (und kann darauf nicht dringen), ist Erinnerungsbuch, Vergegenwärtigung und Archiv einer langen, durch verschiedene Phasen treibenden, bemerkenswerten Intendanz.

Wenn wir die aktuelle Situation der durch Krisen, aufsteckende Intendanten und unzureichende Reformen gekennzeichneten Theaterlandschaft in Deutschland beschreiben und das Fehlen der für das Theater so wichtigen Kontinuität immer mehr beklagen – bei Stephan Märki müssen wir es nicht. In der Übernahme und Teilung von Verantwortung, in der fortwährenden Suche nach neuen, spannenden und spannungsreichen personellen Konstellationen und in der Entwicklung einer durchgängigen Theaterästhetik war die Kontinuität im Handeln bei ihm immer gegeben.

Eine zwölfjährige Intendanz lässt vermuten, dass ein großes Beharrungsvermögen dazugehört, einer Stadt wie Weimar und einem Theater wie dem Nationaltheater die Treue zu halten. Die Dauer des Verharrens zeigt aber auch das Wagnis, das der metropolitan geprägte Schweizer Märki eingegangen ist in einer Kleinstadt, in der das Theater zwar der zentrale Ort ist; um den jedoch gleichzeitig der größte Bogen gemacht wird, wenn etwas nicht gefällt. Die damit verbundene und zuweilen lästig forcierte öffentliche Sichtbarkeit der handelnden Personen, ihre lokale Durchleuchtung, kann einem Theatermacher nur schwerlich gefallen. Er muss zum guten Arbeiten einen schützenden Ort vorfinden, ein Laboratorium, in dem ohne Störung konzipiert, geprobt, entwickelt werden kann. Sich diesem doppelten Druck auszusetzen, sich durchlässig zu machen für jede Regung des Mikrokosmos und gleichzeitig um höchste künstlerische Erfolge zu ringen, hält nicht jeder aus. Und sicher hat auch Stephan Märki in manchen Phasen an seiner Weimar-Entscheidung gezweifelt, gemeinsam mit vielen von uns. Ein Kern von engen Kollegen und Freunden ist dennoch bis zuletzt geblieben und hat gemeinsam mit ihm das möglich gemacht, was in diesem Buch aufgezeigt wird.

Märkis Intendanz zu erfassen und zu präzisieren setzt das Wagnis voraus, die Möglichkeiten der Leitung eines Mehrspartentheaters, wie es das Weimarer Nationaltheater mit seiner Staatskapelle ist, genauer zu untersuchen. Ein Intendant, der die künstlerische Ausrichtung des Hauses nach außen und innen verantwortet, kann aus einer dramaturgischen Richtung denken und handeln, er kann spielerisch-szenisch agieren und agieren lassen, er kann als Manager leiten und lenken. Märki nahm von alldem eine Prise und hatte ein gutes Auge, die Aufgaben dort, wo nötig, immer wieder neu zu mischen und zu verteilen. Sein Hauptaugenmerk lag jedoch auf einer übergreifenden Ästhetik, wie es so bei nur wenigen Intendanten deutscher Theater zu finden ist. Eine Ästhetik, die sich vom Design des Spielzeitheftes bis zu den Kostümen und Dekorationen der in hoher Qualität arbeitenden Werkstätten zog und auf die Inszenierungen insbesondere der jungen Regisseure und Regisseurinnen konzentrierte, die er förderte und forderte.

Märki ist in erster und letzter Instanz ein Ästhet – in der Realisierung wie der Reflexion. Mit ihm zusammenzuarbeiten hieß, ästhetische Qualität selbst mit geringsten Mitteln auf die Bühne zu bringen. Es bedeutete aber immer auch ein Beobachten und Wahrnehmen – in Vorsprechen oder Aufsichtsratssitzungen, auf Proben oder Premierenfeiern, in Konzerten oder im Stadtrat. Diese Ästhetik stand auf einem festen Grund, sie war nicht verdruckst und nicht verschwommen wie bei vielen Anderen, die plötzlich, als es in Modeschüben aufkam, einen ästhetischen Drang verspürten. Sie wurde aber auch nicht zur bedingenden Maßgabe des Hauses; sie war die einende Grundlage dafür, dass sich im Haus, in all seinen Spielstätten, so viele sich voneinander unterscheidende Ästhetiken entwickeln und zeigen konnten – und dass im Haus wie im Publikum auch das Bedürfnis nach unterschiedlichen Spielorten und mit ihnen verbundenen Spielweisen entstanden ist: selbstverständlich im großen Haus und auf der Studiobühne des Foyer III, ganz besonders aber im e-werk, das sich in Märkis Intendanz zu einer für alle Sparten bedeutenden Spielstätte und bei Publikum wie Künstlern eine große Anziehungskraft entwickelt hat, die zu herausragenden Arbeiten geführt hat.

Die Ästhetiken haben also auch ihre Wurzeln darin, dass sie sich auf verschiedenen Bühnen zeigen konnten. So hat sich in diesen zwölf Jahren eine repräsentative Bandbreite von Bühnensprachen realisiert: in der Oper die Klarheit in den Inszenierungen des Wagnerschen „Ring“ von Michael Schulz und Karsten Wiegands publikumszugewandte Produktionen; Michael Dißmeiers luzide Arbeiten an und für Barockopern; die opulenten und die Sinnentriebe des Menschen ridikül feiernden Kraftbildern von Lydia Steier, Gabriele Rech oder Christian Sedelmeyer; von der drängenden Kraft der Arbeiten von Schauspielregisseurinnen wie Thirza Bruncken, Claudia Meyer oder Grazyna Kanya bis zur ganz anderen Deutlichkeit der Ästhetiken Nora Schlockers, Tilmann Köhlers, Michael von zur Mühlens oder auch Thomas Thiemes. Beispiele für die ästhetische Vielfalt der letzten zwölf Jahre am Deutschen Nationaltheater zeigt dieses Buch, auch einige der eigenen Arbeiten von Stephan Märki für Schauspiel und Musiktheater, die auf ihre Weise zeigen, wie Klarheit und Zurückhaltung eine hellsichtige, assoziationsreiche und dabei stringente ästhetische Form und Gestaltung von Theater entstehen lassen.

Die Entwicklung dieser Bandbreite von Theaterästhetiken hat viel zu tun mit Liberalität; nicht mit Willkürlichkeit oder Buntheit, sondern mit einer prinzipiengeleiteten Großmut, die im Hintergrund bleibt und ein Theater als Schutzraum, Beobachtungsort und Laboratorium zugleich ermöglicht.

Märki war Fotograf, Werber, Schauspieler, bevor er Intendant wurde. Diese flanierende Biographie, die für ein Theater ebenso wichtig ist wie der gerade Weg, weil das Theater von all jenen lebt, die seinen Kosmos mit ihrem Wissen füttern, ist sein Signet. Stephan Märki, so könnte man es zusammenfassen, war der diskrete Intendant im Weimarer Kontinuum. Er hat trotz widrigster Umstände nicht zugelassen, dass sich die Dichte und Qualität aus dem Theatermaterial verflüchtigt, das wir Tag für Tag – mit ihm 4400 Abende lang – geschaffen haben.

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