Editorial
Editorial
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Queeres Theater – Romeo Castellucci — Die Mysterien von Eleusis (09/2023)

Am 11. September 1973 putschten in Chile Generäle unter der Führung von Augusto Pinochet gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Es folgten fast zwei Jahrzehnte Diktatur mit Folterzentren, zahllosen Verschwundenen und der Ankurbelung einer zuvor in den USA entworfenen neoliberalen Wirtschaftsordnung mit allen bekannten Folgen. Die langen Schatten der Diktatur, das ist das große Thema des chilenischen Dramatikers und Drehbuchautors Guillermo Calderón, dessen Stück „Colina“ (der Name eines Gefängnisses in Santiago) in diesem Heft abgedruckt ist. (S. 64–76) Parallel zu diesem Abdruck erscheint ein TdZ-Spezial Chile aus Anlass des 50. Jubiläums dieses Ereignisses, das als Datum der jüngeren Weltgeschichte neben dem Prager 20. August 1968 und dem New Yorker 11. September 2001 steht.
Romeo Castellucci sprach mit Thomas Oberender über seine neue Inszenierung „Mystery 11 Ma“, die am 1. September in der griechischen Kulturhauptstadt Elefsina Premiere hat und sich auf die frühantiken Initiations- und Weiheriten der Mysterien von Eleusis bezieht. Der Ort, das heutige Elefsina dreißig km nordwestlich von Athen, war einst für Castellucci als Student der Ausgangspunkt für alles, was der Theatermacher bis heute geschaffen hat. (S.52–57) In Epidauros, einem anderen griechischen Ort mit antiker Tiefendimension, inszenierte Frank Castorf seine Version von „Medea“ (S.94–95)
Queeres Theater wird oft zuerst als Politikum oder Aktivismus wahrgenommen. Dabei entsteht es nicht mehr allein aus der freien Szene heraus, sondern queere Themen und Ästhetiken haben längst den Mainstream der Stadt- und Staatstheater erreicht und es wird viel diskutiert, was es dort bewirkt und an wen es sich in erster Linie wendet. Zeit für einen Schwerpunkt, den die Juniorprofessorin und Spezialistin für queeres Theater Jenny Schrödl mit einem ausführlichen Überblick einleitet, gefolgt von einer publikumssoziologischen Untersuchung und einem besonderen Beispiel am Landestheater Eisenach in Thüringen. (S. 34–36)
Den Martin Linzer Theaterpreis erhält dieses Jahr die Seebühne Hiddensee von Wiebke Volksdorf und Karl Huck. Aus diesem Anlass gilt dem maritimen Kammertheater mit seiner wunderbaren Puppenwelt das Kunstinsert auf den S. 42–47.
Ein umfangreiches Online-Dossier zum Theater in Chile gibt es ab 9. September 2023 auf tdz.de.