Theater der Zeit

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Auftritt

Staatstheater Darmstadt: Was für eine Riesenlüge

„Sturmhöhe“ von Emily Brontë in einer Theaterfassung von Thomas Birkmeir – Regie Anna Bergmann, Bühne Sabine Mäder, Kostüme Lane Schäfer, Musik/Sounddesign Heiko Schnurpel, Video Andreas Deinert

von Sabine Leucht

Assoziationen: Theaterkritiken Hessen Anna Bergmann Staatstheater Darmstadt

Pathos, Überdeutlichkeit und Projektionsflächen: „Sturmhöhe“ von Emily Brontë in einer Theaterfassung von Thomas Birkmeir am Staatstheater Darmstadt, inszeniert von Anna Bergmann.
Pathos, Überdeutlichkeit und Projektionsflächen: „Sturmhöhe“ von Emily Brontë in einer Theaterfassung von Thomas Birkmeir am Staatstheater Darmstadt, inszeniert von Anna Bergmann.Foto: Lara Roßmann

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Lacht sie oder weint sie? Die dunkle Gestalt auf dem frisch aufgeworfenen Grabhügel wird offenbar von widerstreitenden Emotionen gebeutelt. Und ihre geschluchzten Worte kann man erst ebenso wenig identifizieren wie die Richtung, in die ihre Gefühlsentladung kippt. „Ich kann nicht leben ohne meine Seele“ hört man schließlich heraus. Und dann fängt sie an, sich in die Erde hineinzugraben. Wie furchtbar klein sie doch wirkt unter dem überlebensgroßen Hologramm eines weiß leuchtenden Engels, das auch noch ins bühnennebelverhangene Bild schwebt.

Mit dieser Szene beginnt Anna Bergmanns Inszenierung von Emily Brontës 1947 erschienenem Roman „Sturmhöhe“ (Im Original: „Wuthering Heights“). Und sie zeigt gleich, dass die ehemalige Schauspieldirektorin des Badischen Staatstheaters Karlsruhe nach wie vor weder Pathos noch unmissverständliche Bilder scheut. Diese Überdeutlichkeit wird von der Textfassung noch unterstützt, die Thomas Birkmeir 2017 für ein jugendliches Publikum erstellt hat. Auch das Staatstheater Darmstadt empfiehlt den fast dreistündigen Abend im frisch renovierten „Kleinen Haus“ bereits Zuschauer:innen ab 14 Jahren. Und so, wie Emily Klinge die Rolle der Catherine interpretiert, könnte auch sie noch tief im Teenageralter feststecken. Derart kindlich schmollend, hedonistisch, unreif und impulsiv ist der „Engel“, über dessen Grab Flora Udochi Egbonu als Heathcliff eingangs zusammengebrochen ist.

Der Adoptivbruder der jungen Lady Catherine Earnshaw, den ihr Vater als schmutziges Bündel in den Slums von Liverpool aufgelesen hat, wird hier von einer Frau gespielt und (wenn auch nicht durchgängig und von allen) auch als Frau interpretiert. „Du bist ja ein Mädchen“, flüstert Catherine Heathcliff im ersten Teil des Abends verschwörerisch zu, in dem Bergmann düstere, archaisch anmutende Szenen mit riesigen Masken unter der dräuenden Wucht mindestens ebenso düsterer Klänge und Gesangseinlagen ächzen lässt. Er erzählt die im Buch nach und nach enthüllte Geschichte der Kinder, die Vernachlässigung wild und eine tiefe Seelenverwandtschaft unzertrennlich machte, leider nur sporadisch und zoomt schnell auf die Eifersucht und den Hass, den Catherines Bruder Hintley dem Findelkind gegenüber hegt. Bergmann besetzt diese Rolle bewusst mit einer Schwarzen Schauspielerin und rückt so neben dem Thema der Klassenschranken auch die dünne Luft für gleichgeschlechtliche Beziehungen und vor allem den offenbar unsterblichen Rassismus ins Zentrum. Dass der den „Fremden“ oder „das Ding“, wie ihn Hintley nennt, von oben wie unten in die Zange nimmt, macht der sadistische Diener Joseph (Hubert Schlemmer) klar, dem die Darmstädter Maskenbildabteilung einen Extrem-Undercut mit quer über den Kopf geklebter Hitler-Tolle verpasst hat.

Überhaupt die Frisuren: Catherine trägt anfangs blonde Locken und nach der Pause, wenn Bergmann und ihre Kostümbildnerin Lane Schäfer die Atmosphäre von jetzt auf gleich von Viktorianisch-Bombastisch auf poppige Eighties umstellen, eine Kurzhaar-Föhnfrisur à la Lady Di. Den weißen Reifrock, der so lustig hüpfen konnte, hat sie gegen ein superknappes Minikleid getauscht. Außerdem ist inzwischen das Skelett eines zweistöckigen Hauses aus der Unterbühne aufgestiegen, in dem die Temperamente seiner Bewohner ungebremst aufeinanderknallen. Wo die Szenerie vorher fast statisch wirkte, herrscht jetzt ein wahres Tohuwabohu respektive ein Melodram mit einem Schuss Groteske und zwei Spritzern Klamotte, das mit der Himmelfahrt von Catherine endet, bei der Emily Klinge Hampelmann-Bewegungen mit ihren Armen und Beinen macht.

Und diese ganze Albernheit nur, weil Cathy den reichen Edgar mit den „schlaffen Händen“ geheiratet hat und Heathcliff deshalb auf Rache sinnt. Mit Edgar macht das Team sehr kurzen Prozess: Aufmachung wie Spielweise von Aron Eichhorn machen zweifelsfrei klar, dass der Typ ein Depp ist. Die Heirat war ein Status-Ding. Auch das ist hier eindeutiger als im Roman. Was sich aber leider weniger klar vermittelt, ist die Anziehung zwischen den Adoptivgeschwistern, ohne die aber die ganze Geschichte nicht wirklich funktioniert. An den Äußerlichkeiten liegt es hier allerdings nicht.

Die ältere und zu Geld gekommene Heathcliff kommt als Vamp im asymmetrischen gelben Lack-Kleid an den Ort ihrer Demütigungen zurück. Auch ihre androgyne Zopffrisur hat Egbonu zur Lockenmähne befreit. Wirkte sie anfangs fast in ihren Groll verpuppt, schwingt sie jetzt die Peitsche, erklärt Mitspieler:innen und den Begriffsstutzigeren im Publikum, dass Hass Hass gebiert und was für eine Riesenlüge das alles ist: Als ob man als Schwarze Frau einfach losziehen und das eigene Schicksal selbst in die Hand nehmen könnte. Außerdem sagt sie dann: „Ich bin nicht mal der echte Heathcliff. Der ist nämlich krank. Ich kann noch nicht mal meinen Text.“ Tatsächlich ist Egbonu erst kurz vor der Premiere für Samia Dauenhauer eingesprungen, die voraussichtlich ab dem 31. Dezember die Rolle wieder übernehmen wird. Das ist wahrlich heroisch und kann teilweise auch erklären, warum einiges an diesem Abend so unausgegoren wirkt. Und dabei dachte man vorher noch, das müsse vielleicht so sein, dass Heathcliff wie sein eigenes, weder mit der Rolle des Liebenden noch mit der des Rächers vertrautes, Double agiert. Damit er – pardon: sie – ganz Projektionsfläche bleiben kann.

Erschienen am 9.12.2025

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