Leidenschaft für das Theatrale
Theater in der bürgerlichen Ordnung
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Theater in der bürgerlichen Ordnung13
Die „passion for the theatrical“, die Leidenschaft der Großstädter für das Theater, ermöglichte und förderte eine außerordentliche Vielfalt von Formen und Gestaltungsweisen wie Vaudeville, Pantomime, Farcen, die komische Oper, die Music Hall, die sehr im Unterschied zum Menschendarstellungs-Theater ihre künstlerischen Konstruktionen offenlegten. Bewusst oder unbewusst desillusionierten und ironisierten sie teilweise die Sucht nach der Gestaltung „identischer Charaktere“, des „geschlossenen Werkes“, verhöhnten die Anmaßung, Stücke „gut zu machen“.
In der ersten Hälfte des Jahrhunderts blühte das parodierende, frech-komische Theater des Wiener Satirikers Johann Nestroy und es gab die Berliner Posse von David Kalisch14 – gleichsam gegen das deutschsprachige Bildungsbürgertum, das nicht mehr Spielstätten für ästhetischen Genuss suchte, sondern Kunsttempel wollte, in denen sein Ideal des authentischen Charakters15 zelebriert wurde, und das sich im Weimarer Theater Franz Dingelstedts und dem ausladenden historistischen Meininger Bilderbogen des Wirklichen seiner Ordnung hinter einer vierten Wand zu versichern suchte. In der zweiten Hälfte triumphierte Jacques Offenbach neben dem oder auch gegen das Boulevardtheater von Alexandre Dumas fils und Victorien Sardou mit einem enormen Massenzulauf.16 Vom herrschenden Kulturdiskurs ge- und begleitetet entfaltete sich aber hegemonial das, wiederum in sich differenzierte, Theater der illusionistischen Abbildungen weiter.
Bis zum letzten...