Magazin
Des Dichters Gärten
Zwei sehr unterschiedliche Filme nähern sich dem Dramatiker Peter Handke
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Freude verdoppelt sich, wenn man sie teilt – Geld nicht. – Lukas Bärfuss (01/2017)
Assoziationen: Kritiken Dossier: Bühne & Film

„Der Poet wohnt in einem einzigen Garten“, schrieb Peter Handke einmal in eines seiner zum literarisch-grafischen Werk gehörenden Notizbücher. In einem Garten spielt auch der 2011 geschriebene Sommerdialog „Die schönen Tage von Aranjuez“. Dieses etwas luftigabgehobene Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau wirkte wie ein Erholungsausflug nach dem episch ausgreifenden autobiografischen Familienstück „Immer noch Sturm“. Doch der unter anderem Liebes- und Verlusterfahrungen umkreisende Dialog zwischen den beiden nicht näher bestimmbaren Partnern hat es in sich und war schon bei den bisherigen Theateraufführungen (UA in der Regie von Luc Bondy bei den Wiener Festwochen 2012) in seinen Tonlagen von Geständniszwang bis zu philosophischer Poesie sichtbar schwer zu fassen.
Wim Wenders, spätestens seit „Der Himmel über Berlin“ als Handkes bester Filmfreund weltweit bekannt, hat den Sommerdialog verfilmt – auf Französisch, in 3-D und mit mehreren Erzählrahmen versehen. Da ist zunächst das an einem Sommermorgen noch nicht erwachte Paris, über das die Kamera postkartengleich bis zu dem malerischen Garten eines Hauses am Stadtrand gleitet. Dort sitzt Jens Harzer an einem gediegenen Schreibtisch und imaginiert das Stück auf einer Terrasse vor seinem Fenster. Harzer spielt bereits zum dritten Mal das Alter Ego Handkes: In den Uraufführungen von „Immer noch Sturm“ und „Aranjuez“ war er deutlich als der Dramatiker zu erkennen, nun ist er die von Wenders hinzuerfundene Dichterfigur.
Harzer arbeitet, wie man sehr schön sehen kann, mit der Sprache, und kommt das einmal ins Stocken, steht gleich nebenan eine Jukebox, aus der in einem besonderen Krisenmoment der leibhaftige Nick Cave samt Flügel auftaucht und „Into My Arms“ singt – darüber Paul Cézannes von Handke einst thematisiertes Bild „La Montagne Sainte-Victoire“. Leider ist diese referenzielle Rahmung schon das Beste, was man über den Film sagen kann. Denn was zwischen Mann (Reda Kateb) und Frau (Sophie Semin) draußen stattfindet, ist ein weitgehend blutlos wirkender Dialog, den auch der in seiner schönsten 3-D-Staffelung gefilmte Garten nicht lebendiger macht. Insbesondere Kateb mit seiner hölzern schnöseligen Verschlossenheit kommt mit seiner Figur weder zu Regung noch Bewegung. Um die minimalistische Bewegungslosigkeit zum Konzept zu machen, findet Wenders nicht die richtigen oder jedenfalls kaum ausreichende Mittel.
Corinna Belz hingegen macht Handkes realen Garten in Chaville bei Paris zu einem stimmigen Schauplatz ihres intensiven Porträts. Dort legt der Dichter ein paar von ihm gesammelte Muscheln zu einer Wegbegrenzung aus. Was zunächst wie eine Ausweichhandlung aussieht – man merkt dem Film auf angenehme Weise an, wie vorsichtig sich die Filmemacherin Handke genähert hat –, wird zu einer kleinen symbolischen Handlung: ein Dichter, der sich seine Pfade bahnt, die ja bekanntlich in die Natur, insbesondere zu den Pilzen führen. Weil er vor dem verabredeten Drehtermin zum Sammeln aufgebrochen war, heißt dieses von zero one film produzierte, äußerst sehenswerte Porträt nach der von Handke am Haus zurückgelassenen Notiz: „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte.“
Belz, die in ihrem vorherigen großen Film dem schwer zugänglichen Maler Gerhard Richter bei der Arbeit zuschaute, findet nicht nur den Raum für offenbar immer nur kurze Gespräche mit Handke – dabei werden auch die mittlerweile fünfzig Jahre zurückliegenden Anfänge und selbst der schwierige Jugoslawien-Komplex nicht ausgeklammert –, sondern auch Mittel, die eigentliche Arbeit dieses Schriftstellers zu veranschaulichen. Er liest vor, statt sich zu interpretieren, und seine Handschrift wird zu einem kinematografischen Bild neben den vielen Polaroids von Handke selbst. Es gibt eine Begegnung mit der Tochter Amina und eine Erinnerung daran, wie es war, als Kind dieses Vaters aufzuwachsen. Und nach und nach wirkt dieser Film selbst wie ein Garten, in dem man die eine oder andere Ecke oder Hecke wieder neu entdeckt. //