Theater der Zeit

kein schlussstrich!

Wir. Dienen. Deutschland

„Hannibal“ von Dirk Laucke am Deutschen Nationaltheater Weimar

von Lara Wenzel

Erschienen in: Theater der Zeit: Kleiner Mann, was nun? – Geschlechterbilder im Theater – Ein Jahresrückblick (12/2021)

Assoziationen: Theaterkritiken Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Weimar

Anzeige

Anzeige

Ein Offizier der Bundeswehr findet während einer Sauftour in Wien eine geladene Pistole im Gebüsch und steckt sie ein. Am Flughafen verbirgt er sie, ratlos, was damit zu tun sei, auf der ­Toilette. Später kehrt er zurück, um sie den Behörden zu übergeben. So weit die haarsträubende Geschichte, die Franco A. der ­Polizei, die ihn in Wien festnimmt, erzählt. Die Identitätsprüfung ergibt, dass der Bundeswehroffizier ein Doppelleben als syrischer Flüchtling führte. Unter der Tarnidentität habe er Anschläge geplant, um den Hass auf Geflüchtete zu schüren, wirft ihm der Generalbundesanwalt im laufenden Gerichtsverfahren vor. Franco A. steht in Verdacht, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben.

Schon als Jugendlicher denkt der Angeklagte darüber nach, sich im Militär hochzudienen, um mit einem Putsch das deutsche Volk zu retten. In seiner Masterarbeit an der Militärakademie Saint-Cyr buchstabiert er sein komplexes antisemitisches Weltbild aus. Er ist einer der vielen Einzelfälle, die auf der ­Suche nach völkischer Identität im Militär landen, sich dort weiter radikalisieren und vernetzen. Der rechtsextreme Elitesoldat könnte ein Kamerad von Rico sein, dessen Geschichte Dirk Laucke in seinem neuen Theaterstück „Hannibal“ erzählt. Aus einem patriotischen Impuls beginnt der junge Mann, gespielt von Marcus Horn, seine Laufbahn beim Bund, steigt zur Spezialeinheit KSK auf und wird zunehmend eins mit dem Männerverein. Die Inszenierung am Deutschen Nationaltheater in Weimar verhandelt den Rassismus und Antisemitismus, der den Institutionenkörper festigt, nur latent. Im Nebenher der rechten Gesinnung, die die Männer in ­laxer Sprache, versetzt mit AfD-Parolen, verbreiten, wird der Konsens betont, den diese Position in der Gruppe einnimmt.

„Ich bin Soldat, und ich bin gerne Soldat. Morgens der Reif auf den Wiesen oder wenn abends die Nebel aus den Wäldern kommen. Ich diene, und zwar gerne.“ Diese Sätze teilt sich Rico mit dem anonymen Reichswehrsoldaten, dessen Radikalisierungsgeschichte in Ödön von Horváths Roman „Ein Kind unserer Zeit“ nachvollzogen wird. Laucke strukturiert sein Theaterstück nach der 1938 erschienenen Kritik am Nationalsozialismus. Unter der Regie von Sebastian Martin folgt das Publikum der Entwicklung eines autoritätssuchenden Jedermanns, eines „frei flottierenden SS-Manns“ (Klaus Theweleit), dessen Männlichkeit immer noch gewaltsame Blüten treibt.

Seilspringen, Schießübungen und am Abend Biertrinken mit Schmitti, Mitch und Danny gliedern die Tage in der Kaserne der Eliteeinheit. Auf der kargen Bühne vervielfältigen die Projektionen die posierenden Männer und ihre militärischen Gesten, ohne ein heroisches Bild entstehen zu lassen. Mit erprobten Handgriffen und steigender Vorfreude legen die Kameraden auf dem Weg nach Afghanistan ihre Uniform an. Seiner Mutter, deren Rolle Anna Windmüller übernimmt, verschweigt Rico die Abreise.

Die Alleinerziehende wählt links und schaut mit Unverständnis auf die Entscheidungen des Sohns. Ihr bleibt verborgen, dass er sich mit dem soldatischen Weg von seinem Herkunftsmilieu entfernen möchte. Seine Figur kontextualisiert zwischen den Gruppen­szenen die Ereignisse und berichtet von den Selbstzweifeln und Feinden, die ihn von innen und außen bedrohen. Diese Einblicke wirken eindrücklicher als Drill und Knalleffekte auf der Bühne, denn sie zeichnen einen Menschen mit Ängsten und Fehlern, die seine Motivation erklären, aber nicht rechtfertigen.

Nachdem er den Dienst aufgrund einer Verletzung verlassen muss, wendet er sich an Uniter – einen rechtsextremen Verein, zu dem auch Franco A. Verbindungen hatte sowie der aus Halle an der Saale stammende ehemalige KSK-Soldat André S., genannt „Hannibal“. Tummeln sich hier Prepper mit Endzeitfantasien, oder handelt es sich um eine Schattenarmee? Als Rico die Ausmaße der rechtsextremen Verbindungen erkennt, fällt die antrainierte Gefasstheit von ihm ab. Seine Entscheidungen werden fahrig und hilflos, während die Inszenierung das Erzähltempo zu einem düsteren Taumel anhebt. Beklommen lässt der genau recherchierte Theaterabend das Publikum zurück. Die gestohlene Munition, die den ­Boden der Bühne bedeckt, befindet sich im Besitz der „Deutschlandretter“ – und ihr letzter Schuss ist noch nicht gefallen. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"

Anzeige