Auftritt
Schauspiel Frankfurt: Grimmiger Humor als Waffe
„Leaks. Von Mölln bis Hanau“ von Nuran David Calis (UA) – Regie Nuran David Calis, Bühne Anne Ehrlich, Kostüme Anna Sünkel, Video und Recherche Karnik Gregorian
von Sabine Leucht
Assoziationen: Theaterkritiken Hessen Nuran David Calis Schauspiel Frankfurt
Warum das Malheur passiert ist, lässt sich leicht rekonstruieren. Seit vielen Jahren widmet sich Nuran David Calis als Autor wie Regisseur dem Themenkomplex rechter Gewalt in Deutschland. Zuletzt verstärkt den Anschlägen des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und der mehr als zweifelhaften Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Doch was ist passiert? Gewalt von rechts wird noch immer verharmlost, das „Einzeltäter“-Narrativ nur variiert, während das Schüren von Ressentiments gegen Menschen migrantischer Herkunft und Geflüchtete inzwischen bei allen Parteien zum Alltagsgeschäft gehört. Also, dürfte sich Calis gedacht haben, legen wir mal eine Schippe drauf und kapern das Interesse der Leute mit einem Format, das auch die Sesselpupser zuhause am Wegdösen hindert. Auf die Bühne der Kammerspiele des Schauspiel Frankfurt kommt ein Mix aus Heute Show, zeigefingrigem Polit-Kabarett, Karnevalsitzung und Rocky Horror-Clowns Show. Krass as krass can, und angerührt, um dem Publikum gehörig auf die Nerven zu gehen.
Christoph Bornmüller, Katharina Linder, Viktoria Miknevich und Wolfgang Vogler schenken sich da nichts. Sie tragen in „Leaks. Von Mölln bis Hanau“ bunte Haare und Klamotten und viel weiße Schminke im Gesicht, und den Zustand ihrer Gebisse mit und ohne Goldzahn-Blitzen kann man in aller Ruhe überprüfen, denn das Dauergrinsen legen sie nur ab, wenn sie kleinkindlich quengeln oder pseudo-cool abtanzen. Ihr hässlicher Ritt durch die hässliche Geschichte des deutschen Nachkriegs-Rechtsradikalismus beginnt bei der Stunde Null, und worum Deutschland 1945 warb – das kreischen sie mit sich überschlagenden Stimmen – war „Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen“. Fünf Jahre später wird das BfV ins Leben gerufen, um die Demokratie wehrhaft zu machen gegen ihre Feinde von innen.
Fünf symmetrisch aufgebaute Screens zeigen Bilder etwa von Hans Globke, Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze und Chef des Bundeskanzleramtes in Adenauers „schöner neuer Altherrenrepublik“, oder ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Tino Brandt, der einen Teil des Geldes, das er beim Thüringer Verfassungsschutz verdiente, an Beate Zschäpe und ihre Uwes weitergeleitet hat. Auf einem Video sieht man den V-Mann-Führer Andreas Temme durch ein Kasseler Internetcafé spazieren, an der Leiche seines Inhabers Halit Yozgat vorbei, von der er später nichts gewusst haben will.
Einige der Herrschaften tragen in den Videos rote Nasen und ihre Namen werden von den vier Clowns auf der Bühne im Chor herausgejuchzt, die ohnehin mit viel Hallo, Helau und Gezappel alles begrüßen, was den maroden Zustand der deutschen Legislative, Judikative und Exekutive beglaubigt. Der Begriff „grimmiger Humor“: Für Momente wie diese wurde er erfunden.
Der auf unfröhliche Weise aufgekratzte Abend hat es gewissermaßen aufgegeben, sein Publikum mitzunehmen, und schickt es nun auf die Geisterbahnfahrt durch Dunkeldeutschland. Fast 110 Minuten lang geht es abwärts. Da grinst ihm der deutsche Spießer entgegen, im Mini-Vorgärtchen mit Gartenzwerg. Da rollen geleakte rassistische Chats zwischen Polizisten über die Screens. Da geht es durch eine Steilkurve ins Wendejahr 1990 und die „Baseballschlägerjahre“ danach, mit den Ausschreitungen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und dem Brandanschlag in Mölln, nach dem Kohls Regierungssprecher Dieter Vogel seinen Chef mit dem Unwort „Beileidstourismus“ am Grab der Opfer entschuldigte. Auf Anne Ehrlichs zuckerstangenbunter TV-Studio-Bühne bekommt dieser „Vogel“ kein Wort heraus, legt aber schließlich ein Pingpong-Ei. Auch was die mit allzu viel Schaum vor dem Mund getroffenen Inszenierungsentscheidungen anbelangt, geht es hier einmal quer durch die Hölle.
Sicher, Calis Wut ist nachvollziehbar, und der Abend schafft auch hochinteressante Analysen zu den Gründen herbei, warum die Angst vor dem Kommunismus zu lange die Sicht nach rechts verdunkelt hat. Da sprang die linksradikale RAF direkt ins Auge, während sich die Nazis in der Wehrsportgruppe Hoffmann weitgehend unbeachtet organisieren konnten. Irgendwann schnallen sich die Schauspieler:innen Glupschbälle vor die Augen und ziehen beamtengraue Anzüge und Kostüme über ihre Clowns-Kluft. Dann spielen sie selbst die Altnazis, die im BND und im Verfassungsschutz überwintert haben mit der Idee: „Wenn die Welt von Chaos verschluckt wird, werden wir bereit sein.“ Nun, jetzt ist es so weit: Aus ihrem Aktenköfferchen leuchtet es blau. Ihr neuer Hafen ist die AfD.
Auch dieses Schurkenstück wird uns mit diesem feixendem Ist-es-nicht-lustig-Gestus präsentiert. Grimmiger Humor in your face! Dass einem dabei nicht zum Lachen zumute sein soll, ist klar, aber der Überdruck dieser szenischen Wutanfälle killt auch den Intellekt und die Empathie. Irgendwann wandert die eigene Hand unwillkürlich in die Tasche und schließt sich ums Programmheft. Hier kann man noch einmal nachlesen, was nicht vergessen werden darf: Die den Zeitungslesern längst bekannte Fakten, aber vor allem die vielen Toten, die zu lange im kriminellen Milieu verortet worden sind, während die Täter entschuldigt wurden. „Leaks“ macht sich über viele dieser Täter- Opfer-Umkehrstrategien unlustig lustig – und stiert dabei selbst nur auf die Täterseite. Anders als etwa Christine Umpfenbach in ihrem NSU-Stück „Urteile“ am Münchner Residenztheater, und anders als Calis selbst, zum Beispiel in „Die Lücke“ über den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße. Einem Abend, der zurecht die inzwischen oft gestellte Frage ins Spiel bringt „An wessen Geschichte erinnern wir uns?“ sollte das nicht passieren.
Erschienen am 20.12.2024