Theater der Zeit

Kolumne

Das bessere Theater

von Kathrin Röggla

Erschienen in: Theater der Zeit: Neue Dramatik (03/2023)

Assoziationen: Österreich Burgtheater Wien

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Ausgerechnet einen Leitzordner hält sich der Angeklagte vors Gericht, um nicht von der Presse fotografiert zu werden, die zwar da ist, aber auf Fotografien keine Lust hat. Sie ist ihr wohl vergangen. Schon am Vortag hatten die Journalist:innen den Saal verlassen, weil sie die Aussagen nicht mehr aushielten. Der Leitzordner ist die passende Requisite zum Gesicht, denn schließlich hat der Angeklagte Buch geführt. Ein überaus akribischer und kooperativer Geist, der seine Aussetzer hat, vor allem auf dem Gebiet der Empathie. Ihm fehlt einfach das Mitgefühl mit seinen Opfern. Kann vorkommen. Aber dass so jemand von nicht-sexuellen Fotografien eines Kindergeburtstags spricht, „ja, das war ein vierter Geburtstag“, und schon mal Sex hatte „ohne Kamera, sag ich mal“, kann eigentlich nicht vorkommen. Jemand, der sich bei den Vernehmungsbeamten entschuldigt, dass die sich nun sein Material ansehen müssen. Jemand, der über ein zu schnelles Nein verfügt, das sein zu schnelles Ja wieder auffressen kann, und dessen Ehrlichkeit längst nicht mehr einzuordnen ist. Jemand, der ein längeres Gespräch über das Erinnerungsvermögen fällig macht.

Die Gerichtsgeschichte begann allerdings mit einer Person, die mitten in einer Telko saß und mehrere Browser offen hatte. Sie macht mir klar, dass Darknet-Bewohner Menschen sind, die nebenbei ein beruflichen Zoom Meeting absitzen könnten. Dein Kachelnachbar sozusagen. Ein SEK-Kommando stürmte die Sitzung und die Arbeitskolleg:innen dachten, das sei jetzt ein Überfall. Die Polizei fand bei der Festnahme und Hausdurchsuchung unter anderem heraus, dass das einzige Buch im Haus ein Buch über Sexualität von seinen Eltern gewesen sein soll. Solche absurden Details werden im Prozess bekanntgegeben, um die Lebensverhältnisse eines Täters zu verstehen. Ich verstehe gar nichts mehr. Ich treffe andere am Gang, die mehr Durchblick haben, Journalist:innen, die den Prozess begleiten. Sie werden mir sagen: „Wir schreiben nichts, was die Eltern der Opfer nicht lesen wollen.“ Das finde ich einen guten Kompass. Aber wie das machen? Und ab wann wird das Gericht zu einem Ort, an dem ein Wissen generiert wird, das man nun wirklich nicht haben will? Ist das nicht immer so? Hier aber dient dieses Wissen nicht nur einer Aufklärung, sondern wird in den falschen Händen zu einer Anleitung zu weiteren Sexualdelikten. Das wird auch klar, wenn im Laufe des Prozesses immer von „Community“ und „Mentorschaft“ in der Szene gesprochen wird, als handle es sich um einen Karnevalsverein oder Sportclub.

Während ganz Österreich über den Fall des Burgtheaterschauspielers Florian Teichtmeister spricht, der in der Ermittlungsarbeit ebenfalls äußerst kooperativ sein soll und vermutlich genauso eloquent, bleibt hier bei uns Prozessbeobachter:innen die Überlegung im Raum stehen, ob man nicht lieber jemanden hätte, der nicht so artikuliert spricht. Der stammelt und sich unterbricht, der unsortiert ist und wirr wirken könnte, das Monster, das als Monster sichtbar wird. Aber nein, zumindest hier am Landgericht Köln im sogenannten Wermelskirchen-Prozess werden die Taten eines Otto Normalmonsters verhandelt, der keine Kulturbranche aufrüttelt und kein Ausnahmetalent ist, sondern wie ein Buchhalter Einblicke in die enorme Vernetzung der kriminellen Szene eröffnet. Er lässt uns mit der dummen Frage zurück, „wie so was möglich ist“, eine Frage, die wir nicht stellen wollen, aber niemals ausreichend beantworten können. Neben ihr steht die, wie viel man über solch extreme Sexualstraftaten von Pädophilen in die Öffentlichkeit tragen muss und warum?

Und da ist er schon wieder, der Verteidiger, der nicht ins Mikro sprechen will, seine Marotte, und sagt, dass sein Mandant als Monster bezeichnet wird, „und in gewisser Hinsicht ist er das auch“. Was möchten die Eltern der Opfer hier nicht lesen? Beginnt es schon beim Alter des Angeklagten? Oder dabei, dass er Helge-Schneider-Fan gewesen sei und Abba gehört habe. Vielleicht bleibt man bei den Überlebenden. Wie werden sie aus ihren Verletzungen rausfinden? Und wenn sie es nicht können, verzeihen wir ihnen? Das ist dann unser Thema.

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