7. Dissoziative Dynamiken
von Matthias Warstat
Erschienen in: Recherchen 174: Interventionen politischen Theaters (07/2025)
Dissoziative Kräfte sind in vielen künstlerischen und theatralen Interventionen am Werk. Oftmals ergeben sie sich aus dem invasiven Charakter der Intervention. Eine Intervention, die ein bestimmtes Ereignis, eine Veranstaltung oder eine Versammlung infiltriert oder vereinnahmt, kann dort in kurzer Zeit gravierende Veränderungen herbeiführen, die alle Beteiligten tangieren: Einige Teilnehmende fühlen sich durch die Intervention vielleicht gestört oder beeinträchtigt, andere schlagen sich auf die Seite der Intervenierenden. Eine solche Spaltung erreichte jene viel beachtete Intervention, die im Februar 2024 im Berliner Museum für Gegenwartskunst (Hamburger Bahnhof) stattfand. Eine Gruppe von propalästinensischen Aktivist:innen unterbrach Tania Brugueras Performance Where Your Ideas Become Civic Actions (100 Hours Reading The Origins of Totalitarianism), eine auf 100 Stunden angelegte Lesung von Hannah Arendts Text Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft – mit Sprechchören, die sich sowohl gegen die Künstlerin und die von ihr eingeladenen Vorleser:innen als auch gegen das versammelte Publikum richteten. Die Aktion schien darüber hinaus an ein externes Publikum adressiert, das über Social Media Anteil nehmen konnte. Die stark konfrontativen Impulse der intervenierenden Gruppe führten zu einer polarisierten und aggressiven Gesamtsituation.1
Am Beispiel dieser Aktion im Hamburger Bahnhof wird deutlich, dass sich künstlerische Interventionen häufig (und oftmals neben weiteren Stoßrichtungen) auf vorgängige oder...