Überlegungen
Über die fünfzig Jahre
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Chile (09/2023)
Assoziationen: Dramatik Dossier: Chile
Das Trauma, das meine Familie durch den Putsch erlitten hat, ist unvorstellbar. Deshalb hasse ich es, in Chile zu leben. Ich wäre gerne ausgewandert, konnte es aber nicht. Einmal war ich in Newark, New Jersey, und stieg in den falschen Zug. Ich ging durch den Wagen und auf einem der Sitzplätze saß Henry Kissinger. Ich stieg schnell aus dem Zug und blieb eine Weile auf dem Bahnsteig stehen, bis sein Zug abfuhr. Zwanzig Grad unter null. Es war ein großer therapeutischer Moment. Dieser Zug nahm die Angst, die Schuld, die Wut, alles mit sich. Und danach bleibt man alleine, denkt darüber nach, wie man diese Leere füllen kann. Theater machen, schreiben, ist das Erste, was einem in den Sinn kommt. Aber auch, sich dem historischen Projekt der Arbeiterklasse anzuschließen und eine freie Gesellschaft aufzubauen. Das ist nicht ganz wahr, weil man das Trauma ein Leben lang mit sich trägt. Aber es ist wahr, dass ich meinen Moment mit Kissinger hatte. Er sah ernst aus. Sicherlich trägt auch er sein Trauma. Es muss schwer sein zu akzeptieren, dass sie uns nicht alle umbringen können. Seltsamerweise, aus irgendeinem Grund, werden wir immer noch überall geboren. Und das ist gut so, denn die...