Auftritt
Nationaltheater Mannheim Aus der Sprache kriecht die Angst
„Druck!“ von Arad Dabiri (UA) – Regie Ayşe Güvendiren, Bühne Teresa Scheitzenhammer, Kostüme Oktavia Herbst
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Ayşe Güvendiren Nationaltheater Mannheim
Sie stehen ständig unter Strom. In einer Gesellschaft, die immer mehr vom Rassismus gesteuert wird, verlieren sie ihren Halt. Mit seinem Stück „Druck!“ kratzt der Wiener Autor Arad Dabiri an der Fassade westlicher Gesellschaften, die in Rassismus und rechte Gewalt abdriften. Der Text spielt in Österreich. Da greift mit Herbert Kickl einer der radikalsten rechtsextremen Scharfmacher nach dem Kanzleramt. Für die Uraufführung am Nationaltheater Mannheim hat die Regisseurin Ayşe Güvendiren nicht nur tief in den Rhythmus des Textes hineingehorcht, der die Ängste einer Generation reflektiert. Ihre dynamische Inszenierung dieses Stück der Stunde überzeugt mit politischem Tiefgang.
Zwar verortet der Autor den Text in seiner Heimatstadt Wien. Aber die Probleme, die die jungen Menschen da auf einer Parkbank verhandeln, lassen sich in viele multikulturelle Gesellschaften übertragen. Was es bedeutet, wegen seines Namens oder seiner Hautfarbe ausgegrenzt zu werden, weiß der Wiener Autor aus eigener Erfahrung. In der Uraufführung stehen Schauspieler:innen auf der Bühne, die selbst im Alltag diskriminiert werden. Dabei sind die Erlebnisse eng verknüpft. „Schuld zieht sich durch alle Geschichten, Familien, alle Orte dieses gottverdammten Kontinents“, sagt Omar. Klug balanciert der Schauspieler Caleb Felder die Gefühle des jungen Mannes aus, dessen Familie aus den französischen Kolonien stammt. Geboren in Südafrika, kam der Schauspieler in Alter von einem Jahr nach Deutschland. Da wurde er aufgrund seiner Hautfarbe zum Außenseiter gemacht.
Die Uraufführung mit einem Ensemble zu realisieren, das selbst aus Familien mit Migrationshintergrund stammt, war Dabiri wichtig. Beim Heidelberger Stückemarkt 2024 gewann er den Autor:innenpreis – gemeinsam mit dem Kollektiv Frankfurter Hauptschule. Regisseurin Güvendiren und ihr Team lassen sich nicht vom Zeitgeist verführen. Sie interessiert die politische Tiefenschärfe, mit der Sprachkünstler Dabiri das Abgleiten der europäischen Demokratien in rechte Wertsysteme analysiert. Dabei rockt der 27-Jährige die schnellen Dialoge mit Sätzen, wie man sie aus dem Rap kennt. Dazu tanzen die Schauspieler:innen Hip-Hop.
Dieses ästhetische Neuland fasziniert Güvendiren und das Ensemble. Im Zentrum der Bühne von Theresa Scheitzenhammer steht eine Parkbank. Videobildschirme umfassen den Raum. Da erscheinen die Bewegungen und Dialoge der Spieler:innen aus unterschiedlichen Perspektiven. Körper sprechen von Angst, Einsamkeit und Verdrängung. Mit stilisierten Trainingsanzügen und Turnschuhen erfasst Kostümbildnerin Oktavia Herbst das Lebensgefühl einer jungen Generation, die aus der Gesellschaft gefallen ist.
Aus diesem Teufelskreis entkommen sie nicht. Da ist der Deutsche Freddie, dessen Familie auf dem Land die Nazi-Träume des Großvaters weiterlebt. David Smith gelingt ein differenzierter Blick auf die Figur, die in Bierdosen das Vergessen sucht. Doch die Vergangenheit holt ihn ein, die Schuld lähmt diesen Nachgeborenen. Auf der Parkbank treffen sich alle, da gibt es keine Grenzen von Hautfarbe oder Sprache. Dennoch lässt der Autor Dabiri den latenten Rassismus immer wieder in die Dialoge kriechen. „Bin ich wie die?“ fragt Freddie mit großen, fassungslosen Augen. Da legt Smith den entsetzlichen Schmerz über eine Kindheit zwischen Verdrängung und Größenfantasien offen. Auch Tamer Tahan lässt den jungen Türken über die Fesseln der Familie sprechen. Weil die Mutter ein Kopftuch trägt, werde die Familie in die Ecke des Terrorismus gedrängt. Tahan schreit die ganze Wut des jungen Mannes heraus: „Glaubt Ihr nicht, die hätten mich auch gekillt?“
Differenziert blickt Arad Dabiri auf die Kehrseite der multikulturellen Gesellschaften. Auslöser des Konflikts in seinem Drama ist die Verurteilung des Bruders des jungen Iraners Hassan. Er wurde beim Dealen von Drogen erwischt, kommt drei Jahre in Haft. Die Schwester Shirin findet das richtig, will mit Kriminellen nichts zu tun haben. Sie hat Spaß in der westlichen Welt. Ihre Wurzeln sind ihr da egal. Shirin Ali zeigt die junge Frau selbstbewusst. Sie will etwas erreichen. Das möchte auch der Medizinstudent Hassan. Barış Özbük gelingt das ausgefeilte Porträt eines jungen Mannes, der an der Ungerechtigkeit des Systems scheitert. Er organisiert eine Demo für den Bruder, den die Justiz aus seiner Sicht benachteiligt. Brillant entwickelt der Schauspieler die komplexe Rolle eines Menschen, dessen Rechtsempfinden ihn zum Außenseiter macht.
Mit der Eskalation der Gewalt zeichnet Arad Dabiri das Bild einer Gesellschaft, die in einen Bürgerkrieg driftet. „Druck!“ ist kein Schock-Theater, das auf Effekte zielt. Das konsequente Körpertheater deutlich, für das sich Regisseurin Güvendiren bei der Uraufführung entschieden hat, lenkt den Blick auf die Menschen. Die Authentizität, mit der die Spieler:innen ihre Geschichten erzählen, berührt. Die nackte Angst dieser Generation zeigt, dass der Schoß für die menschenverachtenden Werte der Nazis fruchtbarer ist als je zuvor.
Erschienen am 27.1.2025