Ein erst 2015 wiederentdeckter russischer Roman aus der Zeit vor hundert Jahren, für dessen Bühnenumsetzung Sebastian Baumgarten ans Dresdner Staatsschauspiel kommt, bei der Spielfassung unterstützt vom Chefdramaturgen und Osteuropa-Kenner Jörg Bochow; dazu eine angekündigte, nicht angedrohte Aufführungsdauer von vier Stunden – das alles weckte Erwartungen an einen großen Theaterabend. Doch schon vor der Pause häufen sich die Blicke auf die Armbanduhr. Und nach den abgesessenen Stunden geht man achselzuckend zur Garderobe und fragt wie einst im Zeichen von Hammer und Sichel: „Was lernt uns das, Genossen?“
Anfangs eine ganze Menge. Die erste Stunde möchte man nochmals ansehen. Der 1928 im französischen Exil erschienene Roman mit dem Moskauer Straßennamen Siwzew Wrashek im Titel stammt von dem 1922 aus Russland zwangsausgesiedelten Schriftsteller Michail Ossorgin. Familie und Freunde eines an dieser Straße wohnenden Ornithologieprofessors durchleben die Umbrüche der Jahre 1914 bis 1920. Das erste Bild steigt in die traditionelle Moskauer Salonkultur ein. Vor der schwarzen Lederbespannung der Wände kommt aber bestenfalls schwarzer Humor auf, sosehr sich der Pianist Lwowitsch auch müht. Musiker Thomas Mahn, der diese Romanfigur verkörpert, hat den gesamten Abend an den Tasten zu tun und ist auch verbal als Mitspieler gefragt.
In dieser Exposition bedient Baumgarten sich der Stummfilmästhetik. Einer...