Essay
Sleeping Beauties
– und die Vergegenständlichung der Frau
von Marie Schleef
Erschienen in: Theater der Zeit: Die Kürzungskatastrophe – Wie Einsparungen Theater bedrohen (01/2025)

Im September 2020 wird die damals Mitte 60-jährige Gisèle Pélicot auf eine Polizeiwache in Südfrankreich gebeten. Sie soll sich Videomaterial ansehen. Was sie dort erfährt, wird ihr Leben (und das vieler anderer Menschen) verändern. Es sind Aufnahmen, die sie in einem Zeitraum von zehn Jahren zeigen. Sie selbst erkennt sich in diesen nicht wieder. In ihrem Ehebett liegend, entblößt und teils laut schnarchend, wird sie Video für Video im Beisein ihres damaligen Ehemanns von verschiedenen Männern brutal vergewaltigt. Und das Hunderte Male. Durch das Verabreichen unterschiedlicher Schlaf- und Beruhigungsmittel wurde Pélicot in eine ohnmächtige, unmündige Frau verwandelt, regelrecht vergegenständlicht und wie ein Objekt weitergereicht.
Es sind unfassbare Abgründe, die sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Polizeirevier auftun. Dank Pélicots Mut, das Material vier Jahre später in einem großen Gerichtsprozess öffentlich zu teilen, wird dem Diskurs rund um sexualisierte Gewalt und Konsens im Zusammenhang mit sexueller Interaktion erneute Relevanz verliehen. Mit ihrer Aussage: „Die Scham muss die Seite wechseln“, richtet sie den Blick diesmal allerdings nicht auf die Opfer, sondern auf die über 50 Täter. Prozessbeginn ist Herbst 2024.
Ungefähr zur gleichen Zeit laufe ich in Wien durch das Josephinum. Das Museum beinhaltet eine der weltweit eindrucksvollsten Sammlungen anatomischer Wachspräparate aus...