Theater der Zeit

Auftritt

Theater der Stadt Aalen: Zukunftsträume mit Lachsbrötchen

„Das Automatenbüffet“ von Anna Gmeyner – Regie Anne Habermehl, Bühne und Kostüme Jonas Vogt, Musik Philipp Weber

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Anne Habermehl Anna Gmeyner Theater der Stadt Aalen

„Automatenbüffet“ von Anna Gmeyner in der Regie von Anne Habermehl am Theater der Stadt Aalen.
„Automatenbüffet“ von Anna Gmeyner in der Regie von Anne Habermehl am Theater der Stadt Aalen. Foto: Peter Schlipf

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Der Zigarettenstummel fliegt ins Wasser und zischt. So verpuffen die Zukunftsvisionen des Gastwirts Adam, der eine Fischzucht-Industrie aufbauen will. In den 1930er-Jahren siegt der technische Fortschritt. Doch echte Horizonte fehlen. Statt hochfliegender Träume kommt für die Menschen das Fressen vor der Moral: Sie gieren nach Lachsbrötchen oder Semmeln mit Jagdwurst aus dem Automaten. Dieser Ignoranz steht Arwid Klaws in der Rolle des Kleinbürgers Adam fassungslos gegenüber. Vergeblich, denn seine Frau peitscht den einträglichen automatischen Service in der Dorfkneipe voran. In Anna Gmeyners Theaterstück „Das Automatenbüffet“, geschrieben im Jahr 1932, geht es nicht nur um den politischen Wandel in der Weimarer Republik an der Schwelle zum Faschismus. Klug reflektierte die jüdische Autorin gesellschaftliche Konflikte, die Monate vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten schwelten. Regisseurin Anne Habermehl arbeitet in ihrer Inszenierung im Kulturbahnhof des Theaters Aalen die menschliche Tragödie heraus, die in den dynamischen Dialogen gärt.   

Einige deutschsprachige Theater haben das politische Zeitstück in jüngster Zeit wiederentdeckt. Barbara Freys Inszenierung am Wiener Burgtheater wurde 2020 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Den Tanz auf dem Vulkan, der sich in Gmeyners Bühnensprache spiegelt, erfasst die 41-jährige Anne Habermehl virtuos. Die Autorin ist selbst eine Grenzgängerin zwischen literarischer Fülle und sinnlichen Theaterbildern. Im Regiestudium hat sie beides verknüpft. Jonas Vogt hat für die Inszenierung ein Bühnenbild geschaffen, das an die schlichte Kühle der Neuen Sachlichkeit erinnert. Das Wirtshaus ist eine heruntergekommene Holzhütte. Metallglänzende Automaten gibt es nur in der Fantasie der Menschen.  

Regisseurin Habermehl setzt auf dralle Charakterstudien, wie man sie aus dem Volkstheater der 1920er-Jahre kennt. In ihrem dunkelgrünen Regenmantel fokussiert sich Margarete Lamprecht auf die pragmatische Seite ihrer Figur. Jonas Vogt, der auch das Kostümbild entworfen hat, setzt da auf zwar schlichte Friesennerze. Doch die Farbwahl erinnert an das Militär. Die Sinnlichkeit der Frau, deren Träume in Bierseligkeit ertrunken sind, lässt die Schauspielerin dennoch aufblitzen. Manuel Flach als ihr Lieblingskellner hat da leichtes Spiel, sie zu verführen, und ihr das Ersparte abzuschwatzen. Die Falschheit seiner Figur offenzulegen, gelingt ihm dagegen nicht immer. Diese Rolle lässt sich auch politisch interpretieren: Die neue Rechte benutzt das reaktionäre Bürgertum und raubt es schließlich aus. Gerade an dieser Stelle bleibt die Regiearbeit jedoch etwas ungenau. 

Erotik pur bringt Julia Sylvester in der Rolle der Eva ins Spiel. Ihrer verlorenen Liebe wegen will sie sich umbringen. Das kann Adam gerade noch verhindern – Anna Gmeyners Wortspiel mit den Namen nimmt Bezug auf den Sündenfall. Denn zwischen den beiden knistert es gewaltig. Mit ihrer Ausstrahlung wickelt die blonde Schauspielerin im lasziven schwarzen Kleid die Bauerntrampel um den Finger. Frau Adam fühlt sich von ihr angegriffen. In dieser Dreierkonstellation laufen die drei Akteure zu Hochform auf. 

Philipp Weber hat für „Das Automatenbuffet“ eine Musik geschrieben, die bekannte Oldies aus der Konserve wie „Don’t stop believin‘“ von Journey aus den 1980er-Jahren und elektronische Klanglandschaften faszinierend mixt. Den Part der gierigen, ignoranten Ewiggestrigen füllt Bernd Tauber großartig aus. Er schimpft auf die neue Zeit, hadert mit seinem Leben und rennt durch den Raum. Das wirkt so, als wollte er aus dem Leben flüchten. Diese Haltung ist es, die dem Faschismus den Weg bahnt. Ohne dabei antiquierte politische Bezüge zu strapazieren, schafft Habermehl den Spagat, die historische Wirklichkeit anklingen zu lassen, und dabei doch den Bezug zur heutigen Lebenswirklichkeit nicht zu verlieren. So tanzt sie mit dem Ensemble in die Zeitlosigkeit.   

Als Dramaturgin des Theaterrevolutionärs Erwin Piscator kam Anna Gmeyner in den 1920er-Jahren mit dem politischen Zeitstück in Kontakt. Sie bezieht klar Position, bleibt aber nicht in der Theorie stecken. „Das Automatenbüffet“ ist alles andere als ein Agit-Prop-Text. Ihre Lebensgeschichten der Menschen in der schönen, neuen Welt von Technik und rationaler Kälte treffen ins Herz. Mit Feingefühl für die dramatische Struktur landete die Autorin 1932 gleich mit ihrem Erstling einen großen Erfolg, der in Berlin, Hamburg und München erfolgreich war. Als die Nazis an die Macht kamen, musste sie fliehen, und baute sich im Exil in London und Paris als Drehbuch- und Romanautorin eine neue Existenz auf.  

Anne Habermehl erfasst die poetisch-schroffe Sprache der Schriftstellerin nicht nur wunderschön. Ihr klarer, ganz auf die Menschen konzentrierter Regieansatz zeigt, wie deren Gedanken ganz langsam in den Faschismus abdriften. Da bedarf es keiner plakativen Aufmärsche in Springerstiefeln.     

Erschienen am 31.1.2023

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