Bürgerliche Indienstnahme des Theaters
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Seine Feindseligkeit gegen das üppig Sinnliche der Welt und insbesondere gegen die überbordende Theatralität der alten Kirche hinderte den Protestantismus nicht, überkommene und sich gerade entfaltende theatrale Praktiken in seine Dienste zu nehmen. Protestanten hatten von Beginn an, seit den 1520er Jahren in Deutschland, dann später in England, die katholischen Kirchenrituale benutzt bzw. „umgekehrt“, um ihre Doktrinen auszuagieren. Sie trugen ihre Schlachten gegen das Alte in umfunktionierten alten Cultural Performances wie den saisonalen Festen und Spielen der städtischen Gilden aus und beteiligten sich kräftig an der Entwicklung eines an den Modellen der Antike ausgerichteten (humanistischen) Dramas.117 Da die vertraute alte Welt durch die Einhegungen und die Privatisierung kommunaler Ländereien auf den Kopf gestellt wurde, stellten Protestierende, deren Anführer bekannte Puritaner waren, das „richtige Alte“ wieder her – in karnevalesken Performances als Frauen kostümiert, die die Titel und Ämter ihrer sozialen Herren parodierten. Und wohlhabende Landeigentümer behaupteten dagegen ihre Position ebenfalls in alter karnevalesker Verkehrungstheatralität. Entschiedene Feinde von Kollektivierungen und Gegner der Besitzlosen, die ökonomische Gleichstellung beanspruchten, überfielen sie am 11. Juni 1649 brutal eine Gruppe von bäuerlichen Protestanten (Diggers), die für die freie Benutzung von Gemeindeland und soziale (ökonomische) Gleichheit eintraten. Das Gefolge der Landeigentümer bestand aus...