Die Ordnung der Welt als geordnetes Theater
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Das europäische Mittelalter kannte keine beherrschende Norm (Theorie) für die Strukturierung eines theatralen Geschehens. Hugo von Sankt Viktors Erläuterung zu Denkfiguren und gesellschaftlichen Praktiken seines 12. Jahrhunderts referiert in einem kurzen Abschnitt „Theatrics“ lediglich antike (römische) Spektakelformen.1 Das ausdifferenzierte geistlich-religiöse Theater wie auch die weltlichen Darbietungen der mittelalterlichen Minstrels (auch Histrionen/Joculatores) hatten sich je eigene, unterschiedliche Gestaltungsweisen und Kommunikationsformen geschaffen. Die religiösen Spiele Englands als städtische pageants (Festumzüge) der Gilden stellten einzelne Szenen ihrer Geschichten auf Plattformen vor, mit denen sie durch die Straßen zogen; sie erzählten ihren Zuschauern das Heilsgeschehen in linear-sukzessiver Abfolge. Die englischen Moralitäten, die den Kampf zwischen dem Bösen, dem vice, und dem Guten, dem Göttlichen um die Menschheit inszenierten, fanden in einem arenaartigen Rundraum statt. Es gab eine platea, eine wohl neutrale Spielfläche, und simultan an den Rändern errichtete „Lokale“ bzw. Gerüste für die Positionierung verschiedener allegorischer Figuren. Eine Abbildung für die berühmte Moralität THE CASTLE OF PERSEVERANCE (um 1450) zeigt im Zentrum eine Burg-aufbaute mit dem Bett der Menschheit. An der Peripherie des Runds gibt es fünf Gerüste bzw. Örter für Gott, Teufel und Welt sowie einzelne Laster (vice). Im deutschsprachigen Raum bot man ausgewählte...