Theater der Zeit

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Auftritt

Schaubühne am Lehniner Platz: Easy, juicy, cute

„Enjoy Schatz“ von Jovana Reisinger in einer Fassung von Veronika Bachfischer, Sarah Kohm, Elisa Leroy und Jovana Reisinger (UA) – Regie Sarah Kohm, Bühne und Kostüme Lena Marie Emrich, Musik Leonardo Mockridge

von Nathalie Eckstein

Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Jovana Reisinger Schaubühne am Lehniner Platz

Ein diskursiver Essay auf der Bühne, das (fast) alles verhandelt, was Feminismus ist: „Enjoy Schatz“ von Jovana Reisinger an der Schaubühne Berlin.
Ein diskursiver Essay auf der Bühne, das (fast) alles verhandelt, was Feminismus ist: „Enjoy Schatz“ von Jovana Reisinger an der Schaubühne Berlin.Foto: Gianmarco Bresadola, 2024

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„Jetzt wird’s geil“. Das verspricht die Autorinnenfigur Jovana Reisinger immer wieder. Sich selbst, ihrem Alter Ego der Schriftstellerin und dem Publikum. In der Uraufführung von „Enjoy, Schatz“ steht sie selbst – als sie selbst – auf der Bühne: „Authentizität nicht als Stilmittel, sondern biologisches (im binären Geschlechtersystem wohlgemerkt) Kernelement des weiblichen Schreibens“. Reisinger, bekannt als Romanautorin, Filmemacherin und FAZ-Kolumnistin, sitzt auf einem Rondell mit zwei Plüschsesseln auf der rechten Bühnenseite, ihr gegenüber eine ebenso runde Muschel mit einer Aufschrift: „Enjoy, Schatz“. Reisinger trägt einen schwarzen Niki-Jogginganzug, auf dessen Jacke mit Glitzersteinen „Sexsymbol“ steht und erklärt wortgewandt und klug, welche Motivation es gab, das Buch „Enjoy Schatz“ zu schreiben – ein literarischer Essay, erschienen 2022 im Korbinian Verlag.

Neben den Ähnlichkeiten zwischen Ausleben sexueller Abenteuer und dem Beschreiben derer wollte sie ihr eigenes Begehren emanzipieren. Gefahren offenlegen, um sie zu bannen. So beschreibt zunächst Jovana Reisinger die eigene sexuelle Sozialisation als eine, die unter dem patriarchalen Blick passiert ist. Sie bewegte sich mit 14 zwischen der eigenen Fuckability und Polly Pocket.

Polly Pocket auch auf der Bühne: So entpuppt sich auch die Muschel links auf der Bühne beim Öffnen als ikonisches Muschelzuhause der Plastikpuppe (mit Bett, Spiegel, Kleiderstange und Smoothiemixer), aus der dann die Figur der Schriftstellerin steigt. Innerhalb von etwas mehr als einem Jahr folgen wir ihrer Trennung von ihrem Ehemann, genauso wie von einem neuen Geliebten. Sie spricht offen über ihre Lust, ihre Ängste und ihre Grenzen (die auch mehrfach schmerzhaft überschritten wurden).

Immer wieder wird das Spiel von Veronika Bachfischer unterbrochen von Reisinger, die in extrem klugen Textpassagen immer auch den Zusammenhang zwischen Patriarchat und Klasse offenlegt, besonders eindrücklich vorgeführt an der subversiven Kraft der Glam- und Barbieästhetik: Reisinger macht sich selbst zum Kunstobjekt, stellt die Oberflächen aus Glitzer und Pink aus und unterläuft damit gleichzeitig den Vorwurf, wütende, feministische Autorinnen könnten keine langen Gelnägel haben und den Versuch der Spaltung und Zerstreuung rebellischer Positionen gegen bestehende Ideologien. Reisinger berichtet autofiktional vom eigenen Klassenaufstieg, vom Leben hinten den Türen eines elitären Kulturbetriebs, isst auf der Bühne Austern und trinkt Champagner: „Schreib um dein Leben“, denkt sich die Schriftstellerin. „Also deinen Lebensunterhalt“, ergänzt Reisinger – die Schnittstelle zwischen patriarchaler Unterdrückung und finanziellem Prekariat ist gefährlich.

„Enjoy, Schatz“ behandelt als ein diskursiver Essay auf der Bühne nahezu alle feministisch relevanten Themen: Körperliche Integrität im Patriarchat, Geschlechtsspezifische Gewalt, Biopolitik, Mutterschaft, weibliche Wut und finanzielle Benachteiligung. Allerdings gelingt die szenische Integration all dieser komplexen Gedanken nur schwerlich. Tatsächliches Gefühl kommt nicht auf. Das liegt einerseits am hyperreflektierten Text, der permanent aufdeckt, infragestellt, die eigene Rezeption vorwegnimmt, andererseits am Spiel von Bachfischer, die immer auch die Künstlichkeit der Figur mitspielt und letztlich an der Ironie: „Ah, jetzt bricht es doch, das Herz“ – emotionaler wird es nicht. Der Text bleibt gleichsam wie die Ästhetik auf einer Oberfläche, „easy, juicy, cute“, wie Reisinger selbst sagt. Das ist so reflektiert, dass es mitunter zynisch wirkt.

Visuell spielerisch ist die Ebene eingestreuter Zitate, die einer Horoskop-App entnommen zu sein scheinen und auf das Muschelinnere projiziert sind: „You get revenche on an ex by writing a best-selling book about your relationship“ – ergänzt wird diese Ebene oberflächlicher Wahrheiten auch um Glückskekse, die auch Reisinger und Bachfischers Figur der Schriftstellerin unmittelbar verbinden: Wenn die eigene Figur einer weiblichen Autorin ohnehin immer mit ihr selbst verwechselt wird, warum sich die Mühe machen und eine Figur erfinden, die auch noch möglichst weit von sich entfernt ist? Wenn der eigene Körper in jeder Rezension ihrer Romane mitbewertet wird, warum ihn nicht zum Kunstobjekt machen und in einem rosafarbenen Kleid ausstellen?

Reisinger entwirft in „Enjoy, Schatz“ eine écriture feminine, die sie selbst souverän auf die Bühne bringt, eine Reflexion über weibliches Schreiben, weibliche Lust und weibliche Wut, um die Ideologien, die zur Unterdrückung führen, klug zu hinterfragen. Und am Ende ist es doch wieder ein Mann, auf den die Schriftstellerin wartet. Sie ist in den Buchhändler verliebt. Es kann kein Happy End geben. Dazu gibt es zu viele ironische Brüche.

Erschienen am 1.7.2024

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