Theater der Zeit

Akteure

Sich der Gewalt zuneigen

Veronika Dräxler über ihre Dialogräume und Begegnungen mit Marina Abramović und Joseph Beuys Im Gespräch mit Ute Müller-Tischler

von Veronika Dräxler und Ute Müller-Tischler

Erschienen in: Theater der Zeit: Theater & Erinnerung – Gedächtnistheater – Wie die Vergangenheit spielt (05/2023)

Assoziationen: Performance Akteure Dossier: Kunstinsert

Performance „Medea“ in der Ausstellung von Veronika Dräxler in der galerie weisser elefant, Berlin, 2021
Performance „Medea“ in der Ausstellung von Veronika Dräxler in der galerie weisser elefant, Berlin, 2021Foto: Christian Kopp

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Veronika Dräxler, Sie verbringen viel Zeit in der Natur. Stundenlang streifen Sie durch den Wald. Nach all der Endzeitstimmung der letzten Jahre war es das Beste, das die Pandemie uns bescherte, dass wir auf null gesetzt wurden. Für viele entstand ein neuer Blick auf die Welt und die Erfahrung, etwas anders zu machen, lebendiger zu sein. Wie war das bei Ihren Walks?

VD: Der erste „Broken Branches Walk“ war tatsächlich kurz vor der Pandemie, Ende Januar 2020. Für eine private Investorenparty sollte ich eine Arbeit einbringen. Für diesen Rahmen wollte ich einen Ansatz, der möglichst gegensätzlich sein sollte zur Leistungsgesellschaft und der Logik des Kapitals. Ich habe mich gefragt, wer oder was bestimmt überhaupt einen Wert? Dann habe ich mich im Forst in Berlin-Frohnau in einen großen markanten Ast verliebt, der mich an einen Blitz erinnert hat. Der war allerdings so fragil und sperrig, dass er weder mit meinem Auto noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu transportieren war. Also habe ich spontan entschieden, diesen 22 Kilometer weit nach Kreuzberg zu tragen. An den Ort, an dem er dann ausgestellt wurde. Im Nachhinein kommt mir diese Performance wie ein Vorbote vor, als wir von einem Virus Zeit zwangsverordnet bekamen. Auf meinen Wegen durch den Wald haben mir die Stille und die Selbsteinkehr in den eigenen Körper wieder bewusst ­gemacht, dass Entschleunigung – entgegen jeder Innovationszyklen – ein Wert ist, den ich viel stärker in einem Wirtschaftssystem der Zukunft verankern würde.

Traumata und Krisenerfahrungen gehören zu Ihren Inspirationsquellen, wie Sie sagen. Das Prinzip der Selbsterneuerung und Heilung durchzieht viele Ihrer Arbeiten, in denen Sie sich mit ­Ritualität und Hypernaturalität beschäftigen. Was bewegt Sie, wenn Sie einen abgestorbenen Baumstamm am Flussufer entlang ziehen oder Äste sammeln?

VD: Das tote Holz steht symbolisch für meinen Begriff von Traumata: das Zusammenprallen von Kräften bzw. von gegensätzlichen Interessen. Wenn ich Baumstämme bewege oder Äste mit mir trage, kann ich die Landschaft, die mich umgibt, in einem angeregteren Zustand wahrnehmen, als wenn ich nur spazieren gehen würde. An die Grenzen meiner körperlichen Kraft zu gehen, macht meine Aufmerksamkeit viel präziser. Mir wird dann umso mehr bewusst, wie heftig wir Menschen in die Welt eingreifen und Hypernaturalität schaffen: Landschaft, gestützt durch Technik. Zumindest verstehe und verwende ich den Begriff so.

In der Performance „Medea“ (2021) verkörpern Sie eine Frau, die sich mit sieben Ritualen von seelischen Traumata heilt. Den vielen Geschichten um den antiken Mythos von Iason und den Argonauten fügen Sie Ihre eigene hinzu. Welche?

VD: Das Motiv der „Medea“ habe ich gewählt, weil sie für mich der Archetyp einer weiblichen Figur ist, die sich – eingebettet im Patriarchat – im Namen der Liebe in den Dienst männlicher Ideen und Aufträge stellt, um letztendlich feststellen zu müssen, dass sie besser in sich selbst investieren hätte sollen. Sie bereut ihre Entscheidung, Iason vertraut und geliebt zu haben, so sehr, dass sie in eine absolute Zerstörungswut bis hin zum Wahn fällt und sogar die gemeinsamen Kinder aus der Verbindung umbringt. Sich von dem Dämon der Liebe zu Iason zu befreien, ist nicht mit einem einfachen Ritual zu schaffen. Um ihre Integrität und Unabhängigkeit wiederzuerlangen, durchläuft meine Medea sieben Rituale, die inspiriert sind von einer Mischung aus schamanischer und christlicher Mythologie. Sie stärkt sich mit Mond- und Sonnenwasser, findet Ruhe in der Stille und beginnt mit einem Waschbär-Masken-Ritual ihre Formumwandlung und Veränderung. Medea lässt ihren emotionalen Ballast fallen und umgibt sich mit einem Schutzmantel aus Filz. Ihr neues geistiges Potenzial erweckt sie mit Weihwasser 4711, um am Ende im siebten Ritual im Olivenbad ihren Dämon zu exorzieren. Medea lässt den Sexismus und die Abwertung Iasons hinter sich und macht alles rückgängig, was im Zeichen der Liebe geschah, befreit sich so vom manipulativen Machtmissbrauch und wird stärker als zuvor.

Als Material verwendeten Sie damals eine Zinkbadewanne, Felle und viel Öl, das sind ikonografische Reminiszenzen an Joseph Beuys. Für mich stellen sich aber auch Bezüge zur künstlerischen Aura von Marina Abramovi´c her, „The Artist Is Present“. Liege ich da falsch?

VD: „Aura“ ist für mich hier das entscheidende Stichwort. Ich hatte zum einen das Privileg, Marina Abramovi´c in persona 2014 in ihrem Studio in New York zu treffen. Zum anderen Joseph Beuys’ – ich sage mal – Geist 2021 an seinem 100. Geburtstag bei der Zoom-Séance mit einem Medium in Vorbereitung auf die „Medea“-Performance, die im Rahmen meiner Einzel­ausstellung „Beuys: Rückruf, Dringend!” stattgefunden hat. Die Begegnungen mit Abramovi´c und Beuys haben sich bei mir körperlich sehr ähnlich angefühlt: jeweils eine mächtige Energie, die sich um meine eigene legte. Eine ungewöhnlich starke immaterielle Präsenz. Das hat sich natürlich bei mir eingeprägt. Reminiszenzen an Joseph Beuys haben sich ergeben, weil meine Großeltern teilweise ähnliche Objekte in ihrem Nachlass hatten, zum Beispiel eben die Zinkbadewanne. Aus dem Fett wurde fluides Öl und aus dem Filz wurden Packdecken aus dem Baumarkt, quasi ein Update zum Ultra-Zeitgenössischen. Marina 
Abramovi´c arbeitet ja inzwischen auch mit deutlichem Einfluss zum Techno-Healing bzw. Techno-Schamanismus, den ich in Berlin als sehr präsent empfinde und der sich durch mein Studio im Künstlerhof Frohnau, eine ehemalige Nervenanstalt, sehr stark manifestiert hat.

Ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Entwertung als Frau und Künstlerin haben Sie in der gemeinsamen Ausstellung mit Patrick Alan Banfield verarbeitet. „Chapters of Violence“ sind immersive Räume, in denen sich ihre Arbeiten begegnen. Markus Boxler, der Kurator, beschreibt diese Zusammenarbeit „als innewohnende Ambivalenz der Symptome gesellschaftlicher Traumata: In welchem Verhältnis steht toxische Männlichkeit zu Softness und Verletzlichkeit? Zu wessen Lasten kann ein Heilungsprozess stattfinden und wer ‚bezahlt‘ ihn – im ökonomischen wie im emotionalen Sinn?” Kann es eine Lösung geben? Das ist wahrscheinlich die Kunst dabei, daran zu glauben oder eine Schamanin zu fragen?

VD: In „Chapters of Violence: Power & Control” stehe ich im Dialog mit Patrick Alan Banfield über toxische Maskulinität, Geschlechterrollen und Machtmissbrauch. Aber Lösungen? Wir sind noch mitten drin, überhaupt zu verarbeiten, was uns und im Kulturbetrieb immer wieder geschieht oder geschehen kann. Bei einem von Trauma gestressten Körper ist es nicht möglich, nach Lösungen zu suchen. Hier gilt: Raum geben und erst einmal das Geschehen anerkennen. Nach Gewalterfahrungen braucht es oft Jahre, um Softness und Verletzlichkeit überhaupt erst wieder zulassen zu wollen.

Die Ausstellung setzt auf das völlige Eintauchen in eine Szenerie der Räume, mehr Maximalismus im Fokus Gewalterfahrung scheint fast nicht drin. War das für sie beide mehr ein ästhetisches Verlangen oder stand eine inhaltliche Distanz und Metaebene weniger im Mittelpunkt bei diesem emotionalen Thema?

VD: Tatsächlich war diese Heftigkeit im Ausstellungsraum und in unserer beider Körper veranlagt, da das Ausstellungskonzept nach einem konkreten Vorfall männlichen Machtmissbrauchs entstanden ist – und zwar mir gegenüber, in denselben Räumlichkeiten, damals während der Vorbereitungen zu „Medea“. Ich hatte schon damals intuitiv Energien im Raum transformiert. Patrick und ich haben dann ähnlich wie bei „Medea“ Gewalt visualisiert. Nur eben in ganz anderer Weise. Wir haben die Machtstrukturen, die uns umgeben, wie in einem Filmsetting in konkreten Schauplätzen vergegenwärtigt. In erster Linie ging es darum, Erfahrungen mit toxischen Beziehungen und Männlichkeit sicht- oder fühlbar zu machen, um sie neu dirigieren zu können. Vielleicht kann man das so beschreiben: sich der Gewalt zuzuneigen, ohne sie sich anzueignen, diese anders – transformiert – wieder zurück in den Raum zu stellen.

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